Am Meer (Die Gartenlaube 1884)
[471] Am Meer. (Mit Illustration S. 469.) Das Meer! – in seinem Schooß verbirgt’s „ein Labyrinth von Wundern“, die Mutter der Schönheit ist es, denn es gebar Aphroditen, und auch die schlanken schönen Nereïden, diese Nymphen des Salzwassers, sind seine Töchter. Die Tempel der Venus stehen als verödete Ruinen auf Klippen und Inseln, die Nereïden sind längst dahin, aber ihre Nachkommen leben noch heute: das sind die armen, am Strande, im Sande geborenen Fischermädchen, die in den kleinen braunen, schilfgedeckten Hütten längs der Küste des ligurisch- tyrrhenischen Meeres in Dürftigkeit und Armuth wohnen. Als barfüßige Strandläufer, ähnlich den Meervögeln, strecken sie die braunen Hände bettelnd gegen die heranrollenden Wogen aus und warten, bis die uralte strenge Stiefgroßmutter ihnen ein Almosen in Gestalt eines kleinen Weißfisches, einer Krabbe, eines See-Igels oder Schalthieres zuwirft, das sie mit geübten Fingern aus dem algenbedeckten Klippengestein herausklauben, während die rauhen Väter, die kecken Brüder in Böten und Barken mit Netzen und Reusen dieses sich zu erzwingen wissen.
Sie sind arm, diese Mädchen, denn die alten Schätze, die auf dem Boden des Meeres ruhen, die Horte, die man einst in dieses versenkt, „die Truhen, die durch das blaue Wasser blitzen“, wirft keine wohlwollende Welle ihnen in den Schooß. Diese Herrlichkeiten sehen sie nur in den Augen der Alten blitzen, wenn diese ihre verschollenen Märchen erzählt – Märchen aus der Zeit, da die Völker der ligurischen Küste, die Herren von Porto Maurizio, Oneglia, Alassio, Albenga, Savona, Sestri, Genua und Spezia, noch vornehm und reich waren und an Stelle der heutigen morschen Fischerbarken stolze Dreimaster auf das Meer setzten, geführt von weltenentdeckenden Capitainen; denn auch Columbus ist ein Kind dieser Küste.
Damals kleideten sie sich in Seide und trugen echten Goldschmuck in den Ohren, heute umflattert ihre Glieder der dünne, bald verschossene Kattun. Sind sie aber auch schön? Der Dichter möchte es uns glauben machen. Wir Alle haben seine Lieder im Concert gehört oder selbst zu Hause gesungen, die bekannten Lieder: „Wir saßen am Fischerhause“, „Das Meer erglänzte weit hinaus“, „Du schönes Fischermädchen“, „Sternlos und kalt ist die Nacht“, in welch letzterem „die wunderschöne Fischertochter“ am Heerde sitzt, knisterndes Reisig in’s Feuer schüttet und hineinbläst, daß die flackernd rothen Lichter das „blühende Antlitz“ überstrahlen und die zarte weiße Schulter,
„Die rührend hervorlauscht
Aus dem groben, grauen Hemd –“
Heinrich Heine ist es, der mit dem Auge des Poeten die Dinge anschaut, oder durch das verklärende Fernrohr der Erinnerung. Solcher Anschauung entstammt auch sein Liedchen vom toscanischen Meere:
„Augen, sterblich schöne Sterne!
Also mag das Liedchen klingen,
Das ich weiland in Toscana
An dem Meere hörte singen.
Eine kleine Dirne sang es,
Die am Meere Netze flickte;
Sah mich an, bis ich die Lippen
An ihr rothes Mündchen drückte –“
In der Nähe besehen, gleicht diese Schönheit der des gutgebackenen Bauernbrodes: braun und derb, aber kräftig und gesund. Den Teint malte die mächtige Sonne der Riviera, die „nichts Weißes duldet“, keine Bleichsucht kennt; ihn festete und beizte der salzgesättigte Seewind, der Scirocco, die Tramontana, die für Schminke sorgen. Die Hände und Füße formte die harte Arbeit, und wenn diese, wie es der Rasse eigen, klein und zierlich sind, so sind sie doch auch hart und derb. Das Parfüm sodann, das die dürftigen Kleider durchhaucht, entstammt den Algen, dem Tange, dem Fische, dem geliebten Lauche, und der feine moschusduftende Herr Poet, der „seine Lippen an ihr rothes Mündchen drückt“, würde wohl zurückschrecken vor der beißenden Schärfe der gesalzenen Lippen. Aber auch er wäre der Dirne nicht willkommen, denn ihr Wunsch geht seit Jahrhunderten nach einem Schiffer, einem Fischer. Dies drücken ihre Lieder aus, von denen sie eine ganze Schiffsladung vorräthig hat.
„Heil’ge Katharina, laß dich bitten,
Gieb mir einen Fischer doch zum Mann!
Kehrt er Samstag Abends mir zurücke,
Ach, wie riecht er nach dem Meere dann!“
Oder der Gruß, den sie dem zu Meere gehenden Schiffer mitgiebt:
„Der du zu Meer fährst, Knabe, hör’ einmal,
Grüß’ mir den Fischer draußen, meinen Lieben!
Du kennst ihn nicht? O schau nur auf’s Signal,
Auf seinem Segel steht mein Herz geschrieben.“
So schlägt das kräftige Geschlecht nicht aus der Art. Und die Buben
im Wasser? Das Volk hat ein Sprüchwort: Chi di gallina nasce, convien che razzoli, das heißt, wer von Hühnern stammt, muß scharren,
oder, was ein Angelhaken werden will, krümmt sich bei Zeiten. W. Kaden.