Aus eiserner Zeit
Aus eiserner Zeit.
Im alten heiligen römischen Reich deutscher Nation gab es wohl kaum einen Winkel, wo die Zertheilung von Grund und Boden am Ende des Mittelalters so absonderliche Formen angenommen hatte, als dort zwischen dem unteren Neckar und dem Main, zwischen dem Rhein und dem Fränkischen Jura. Von Westen her griff der Kurkreis herein mit den Gebieten des Erzbischofs von Mainz und des Kurfürsten von der Pfalz, der im fröhlichen Heidelberg Hof hielt. Im Osten ragten zwei andere geistliche Fürsten hervor, die Bischöfe von Würzburg und Bamberg, und ihnen that es gleich an Macht die stolze Reichsstadt Nürnberg. Zwischen diesen aber saßen in buntem Wechsel und mit oft merkwürdig zersplitterten Gebietsverhältnissen noch eine ganz erkleckliche Zahl von freien Reichsständen, Grafen, Rittern, Aebten und freien Städten und als Besonderheit auch noch der Orden der Deutschherren zu Mergentheim.
Es ist kein Wunder, daß gerade auf diesem Boden das Wesen des kleinen freien Reichsritters sich am vollendetsten entwickelte. Hier genoß er in vollen Zügen die uneingeschränkte Selbstherrlichkeit, die ihm Lebensluft und -licht war, hier waren unter so und so viel Genossen tausenderlei Gelegenheiten zu Fehde und Bündniß, gemeinsamem Ueberfall und rettendem Unterschlupf, und nirgends besser als hier konnte den „Pfeffersäcken und Ballenbindern“, den unheimlich reichen Kaufherren der Städte, ein Abbruch gethan werden.
Und dieser Boden ist auch der Schauplatz, auf dem das Leben des Ritters Götz von Berlichingen „mit der eisernen Hand“ sich abspielte.
Es ist den Lesern der „Gartenlaube“ aus einem früheren Aufsatze (vgl. Jahrgang 1882, S. 779) bekannt, daß um die Persönlichkeit dieses Ritters sich ein lebhafter Streit entsponnen hat. Folgen die einen dem Bilde, das Goethe von ihm entworfen hat, und in dem er als ein Hort der Bedrängten, als ein Rechtshelfer der Unterdrückten erscheint, so stempeln ihn die andern zum höchst gewöhnlichen, gewaltthätigen Abenteurer und Stegreifritter. Die Wahrheit wird, wie so oft, in der Mitte liegen und es wäre auch, wenn wir die angedeuteten Zeitverhältnisse in Betracht ziehen, von Götz wirklich zu viel verlangt, wollten wir von ihm fordern, daß er mitten in einer eisernen Zeit hätte leben sollen „als frommer christlicher Ritter“, so, wie es seine sanfte Schwester Maria in Goethes Drama von seinem kleinen Sohne Karl wünscht. Auch von Götz wird das Wort gelten, mit dem Maria diesen ihren Wunsch für Karlchens Zukunft begründet: „Die rechtschaffensten Ritter begehen mehr Ungerechtigkeit als Gerechtigkeit auf ihren Zügen.“ Und daß das Geschlecht der Berlichingen nicht gerade nach dem Ruhm der Sanftmuth geizte, mag man daraus entnehmen, daß es als Wappenkrönung einen reißenden Wolf führt, der ein Lamm im Rachen trägt.
Doch wollen wir uns heute nicht mit dieser Streitfrage beschäftigen, für deren endgültige Lösung die Zeit noch nicht gekommen scheint. Wir wollen vielmehr einen Rundgang über die Stätten machen, die durch das Andenken an den Ritter Götz geweiht sind und die des Zeichners Stift dem Beschauer auch vor das äußere Auge führt.
Es sind einfach schlichte, aber liebliche Landschaftsbilder, die der Wanderer im Thale der Jagst, des letzten größeren rechten Nebenflusses des Neckarstromes, zu schauen bekommt. Wer von Möckmühl der Landstraße folgt, die neben dem Flusse her in vielfachen Krümmungen sich thalaufwärts windet, der befindet sich nach zwei bis drei Stunden Wegs ganz auf Berlichingenschen Spuren. Da liegen hinter einander Jagsthausen, Berlichingen und Schönthal, der Hauptsitz, die Wiege und das Grab des Geschlechts. Dort auf dem Schlosse zu Jagsthausen ist auch der Ritter Götz geboren im Jahre 1481 als der fünfte und jüngste von seines Vaters Kilian von Berlichingen Söhnen, dort hat er, wenn auch mit großen Unterbrechungen, in seinen Jugend- und früheren Mannesjahren seine Heimath gehabt. Im Norden des Dorfes liegt das „Alte Schloß“ mit seinem Götzenthurm, während westlich vom Dorfe das „Neue Schloß“ der noch jetzt blühenden Linie Berlichingen-Jagsthausen sich erhebt. Eine seltene Hinterlassenschaft birgt noch heute Jagsthausen; es ist die eiserne Hand Götzens, jenes Meisterwerk der Schmiedekunst, das sich der kampflustige Ritter anfertigen ließ, nachdem ihm vor Landshut seine eigene Rechte abgeschlagen worden war. Durch Vererbung nach Wien gekommen, wurde das Wunderwerk im Jahre 1798 durch eine geb. Reichsgräfin von Hadik, die einen Berlichingen geheirathet hatte, wieder nach Jagsthausen gestiftet, wo ein eigenes Stammbuch die zahlreichen Besucher nebst den Gefühlen, die sie beim Anblick der eisernen Hand bewegten, verzeichnet.
Und nun weiter das Thal hinan. Bald grüßen uns die beiden Thürme der prächtigen Klosterkirche von Schönthal, die einen der berühmtesten Schönthaler Aebte, Benediktus Knüttel († 1731), den angeblichen Vater der „Knüttelverse“, zu ihrem Erbauer haben. Wie oft hat diesen Weg vor uns ein stiller Zug zurückgelegt, ein Viergespann, das einen Berlichingen nach seiner letzten Ruhestätte im Kreuzgange des alten Abteigebäudes verbrachte! Einst hatte der Gründer des Klosters, ein Ritter Wolfram von Bebenburg, von Engelhard von Berlichingen Grund und Boden zum Bau des Klosters unentgeltlich erhalten, unter der einzigen Bedingung, „daß, so oft einer von Berlichingen mit Tod abginge, Abt und Convent verpachtet sein sollen, den Todten mit einem Viergespann abholen zu lassen; dann, wenn der Leichnam vor der Klosterpforte ankäme, ihn processionsweise in die Kirche zu geleiten, die gewöhnlichen Exequien halten zu lassen und endlich im Kreuzgange des Klosters, der für immerwährende Zeiten der Familie von Berlichingen als Erbbegräbniß überwiesen wird, feierlichst beizusetzen.“ Und so geschah es jahrhundertelang; aber bei den „immerwährenden Zeiten“ konnte es freilich nicht bleiben. Als nach dem Durchbruch der Reformation ein Berlichingen um den andern zur neuen Lehre
[865][866] sich bekannte, da wurde jene alte Bestimmung aufgehoben, denn man konnte doch nicht wohl die Abtrünnigen in des Klosters geweihten Räumen begraben. So ist der letzte Berlichingen, dessen Denkmal in dem Krenzgang sichtbar ist, ein Sohn des berühmten Götz, Hans Jakob, der im Jahre 1567 starb.
Inmitten seiner Ahnen hat nun auch unser Ritter Götz von Berlichingen sein Grab und sein Gedächtnißmal gefunden. Auf seinem eisernen Handschuh knieet der Ritter, die beiden gesunden Hände fromm zum Gebete gefaltet – ein merkwürdiges Beispiel künstlerischer Unbeholfenheit oder religiöser Scheu, denn man muß sich fragen: konnte oder wollte der Künstler nicht abweichen von dem üblichen Typus, der ihm in vielfachen Wiederholungen zur Vorlage diente? Wappenschilde schmücken das Fußgestell und die Pfeiler, welche das Bild des Verstorbenen einrahmen, links oben das Berlichingensche Wappen mit dem reißenden Wolfe. Zu Füßen des Helden aber lesen wir die einfachen Worte „Und er wartet allhie einer fröhlichen Auferstehung,“ während die üblichen Nachrichten über den Sterbetag und der Name des Geschiedenen auf einer besonderen, über dem Denkmal befindlichen Inschrifttafel angebracht sind.
Dort heißt es: „Anno domini 1562 den 23 Juli ist in Gott verschieden der Edel und Ernvest Gottfried von Berlichingen zu Hornberg, des Seelen Gott gnädig seye. Amen.“
„Zu Hornberg.“ Ja, der Leichnam des mehr als achtzigjährigen Recken hatte eine weitere Fahrt zu machen als bloß das Stündchen von Jagsthausen herauf. Draußen im Neckarthale, über dem rechten Ufer des Flusses nahe dem Dorfe Neckarzimmern lag die Burg, auf welcher der alte Götz sein Leben beschloß. Zu schwindelnder Höhe ragt der alte, heute noch völlig besteigbare Thurm empor und eine wunderbare, die wechselvollsten Bilder einschließende Fernsicht eröffnet sich von seinem Gipfel. In weitem Umkreise führt der Weg, von festen Mauern begleitet, über einen unteren Hof allmählich hinauf zur Burg, und es heißt, von dieser schneckenförmigen Bauart habe sie den Namen „Hornberg“ erhalten. Sie ist heute, nachdem sie oft und viel den Besitzer gewechselt, Eigenthum der freiherrlichen Familie von Gemmingen.
In die Hände der Berlichingen kam die Burg durch unsern Götz selber. Er hat sie wahrscheinlich im Jahre 1516 von Konrad Schott von Schottenstein käuflich erworben, das Geld dazu aber verdankte er einem der kecksten Handstreiche, die der in diesem Fache gewiß nicht linkische Ritter je in seinem Leben ausgeführt hat. Wegen eines Bauern zu Heimstatt war Götz mit dem Kurfürsten von Mainz in Fehde gerathen, wobei es mit Mainz auch der Graf Philipp von Waldeck, ein mainzischer Lehensmann, hielt; es gelang Götz, diesen Graf Philipp zu fangen und durch kölnisches, waldeckisches, hessisches, hersfeldisches, fuldaisches, hennebergisches, sächsisches, würzburgisches, bambergisches, anhaltisches, nürnbergisches und pfälzisches Gebiet, also durch zwölf wohlgezählte Landesherrlichkeiten „dahin zu bringen, da er hingehört“, das heißt auf irgend eine Feste, die selbst der alte Götz in seiner Selbstbiographie noch nicht verrathen mag. Wohl ward bei Kaiser und Reich Klage geführt, wohl regte sich der „Schwäbische Bund“, dessen Mitglied der Mainzer Kurfürst war, aber alles ging zu schwerfällig und zu langsam, so daß Philipp von Waldeck schließlich es vorzog, auf 8000 Gulden Lösegeld einzugehen. Am 16. Juni 1517 aber schreibt Götz an den Grafen Albrecht von Mansfeld, der inzwischen Götz mit dem Mainzer ausgesöhnt hatte, des Inhalts, „daß er bei Konrad Schott einen Kauf, zahlbar auf Jakobi, gethan und deshalb das Lösegeld wünsche, welches vielleicht der Graf Hermann von Henneberg vorstrecke.“ Dieser Kauf war kein anderer als der der Burg Hornberg.
Zur Ruhe kam freilich der Unermüdliche zunächst noch nicht in seinem neuerworbenen Neste. Nach mancherlei kleineren Händeln trat Götz in die Dienste des Herzogs Ulrich von Württemberg, der ihn im Jahre 1518 zum Amtmanne von Möckmühl machte. Der Leser kennt aus Hauffs „Lichtenstein“ die Geschichte dieses unglücklichen Fürsten. Bald nach jener Verbindung mit Götz verwickelte sich Ulrich in den verhängnißvollen Kampf mit dem Schwäbischen Bund, der mit seiner Vertreibung aus dem angestammten Herzogthum geendigt hat. Am 10. Mai 1519 stand das siegreiche Bundesheer bei Neckarsulm, Götz aber saß noch auf seiner nur einen schwachen Tagemarsch entfernten Burg Möckmühl, entschlossen, wenn nicht die Stadt, so doch die Feste seinem Herrn zu behaupten. Zwei Fähnlein bayerischer Knechte rückten vom Neckarsulmer Hauptlager heran, die Stadt ergab sich [867] sofort, aber Götz war zum äußersten entschlossen und beschoß sogar von seiner Burg aus die Stadt, die jetzt zum Stützpunkt der Feinde geworden war. Noth an Lebensmitteln und Kriegsbedarf zwangen ihn aber bald zur Kapitulation. Als er im Vertrauen auf das Versprechen freien Abzugs die Burg verließ, wurde er heimtückischerweise überfallen, festgenommen und nach Heilbronn in Gewahrsam gebracht.[1]
Da stehen wir nun wieder an einem Punkte in Götzens Leben, den die Phantasie des Dichters und die rankende Volkssage am üppigsten überwuchert hat. Beide lassen den gefangenen Helden jahrelang in dem schauerlichen viereckigen Thurme schmachten, der am südwestlichen Ende der Heilbronner Altstadt unmittelbar am Neckarufer emporragt, und Goethe hat die ergreifende Schlußscene für sein Schauspiel dadurch gewonnen, daß er den Ritter in dem Gärtchen am Fuße des Thurmes sogar verscheiden läßt. Goethe hat überdies die Heilbronner Haft, welche Götz in den Jahren 1519–1522 zu erstehen hatte, zusammengeworfen mit jener anderen zu Augsburg, in welche der „Hauptmann der rebellischen Bauern“ im Jahre 1525 verfiel. Zum Glück wissen wir aus Götzens eigener Versicherung, daß er nur eine einzige Nacht in der Thurmzelle zugebracht hat. Jedermann erinnert sich der köstlichen Scene aus dem Goetheschen Drama, wie Götz vor dem Heilbronner Rath steht und den „Schmieden, Weinschrötern und Zimmerleuten“ nebst dem ganzen hochwohllöblichen Rath selber einen so heillosen Respekt einflößt und wie er sein treues Weib Elisabeth hinausschickt zu dem ihm befreundeten Sickingen, daß er komme und ihm zu einem ritterlichen Gefängniß verhelfe. Das alles ist im wesentlichen der Selbstbiographie Götzens treu nachgebildet, nur daß sich die Dinge nach der letzteren nicht so rasch abgespielt haben. Jedenfalls aber heißt es in den Aufzeichnungen des Ritters: „Daß that nun mein weib vnnd fuhrten mich die bündischen vff daß Rathhauß, vnnd vom Rathhauß inn thurn, vnnd must dieselbige nacht darinne liegen, vnnd wie sie mich vff den Pfingstabendt hinein legten, musten sie mich vff den Pfingstag deß morgens früe widerumb herauß thun.“ Er blieb von da an in ehrlicher Haft bis zum Jahre 1522, wo er sich mit einer Summe von 2000 Goldgulden auslöste.
Einige Jahre scheint sich nun Götz auf seiner Burg Hornberg verhältnißmäßig ruhig verhalten zu haben. Da aber brach im Jahre 1525 das Verhängniß über ihn herein, das ihn in die Arme und an die Spitze der aufrührerischen Bauern und auf solchem Wege abermals in die Gefangenschaft des Schwäbischen Bundes, diesmal nach Augsburg führte. Erst im Jahre 1530, nach fünfjähriger Haft, erhielt er seine Freiheit wieder und dies nur gegen Beschwörung einer harten Urfehde. Er durfte die Markung seiner Burg Hornberg nicht überschreiten, kein Pferd mehr besteigen, und selbst dann, wenn er innerhalb seiner Hofmarkung blieb, sollte er abends wieder auf die Burg zurückkehren.
Das war die lange Zeit des Stilllebens und Stillsitzens auf der Burg Hornberg, von dem ihn erst lange Jahre nachher – Götz behauptet 16 Jahre, aber die Rechnung will nicht ganz stimmen – ein kaiserliches Machtwort erlöste. Noch zweimal rückte der alternde Recke ins Feld, gegen die Türken und gegen die Franzosen, dann aber kehrte er für immer heim nach dem Hornberg, um hier ein beschauliches Alter zu verbringen. In diesen Tagen hat er die Erinnerungen aus seinem sturmbewegten Leben aufgezeichnet oder diktirt, die den vertrauenden Leser so treuherzig offen anmuthen und die den kritischen Geschichtsforscher zu solch tiefgreifenden Zweifeln veranlassen. – Götz war zweimal verheirathet. Zuerst mit Dorothea von Sachsenheim, dann seit 1516 mit Dorothea Gailing von Illesheim; Elisabeth hieß keine von seinen Frauen, den Namen hat Goethe frei gewählt. Von seinen 7 Söhnen starben 5 in ganz jungen Jahren, nur zwei, Hans Jakob und Philipp, hatten Nachkommenschaft. Ein Sohn von Hans Jakob, Philipp Ernst, hat im Jahre 1602 Hornberg verkauft – Götzens berühmte Burg kam damit in fremde Hände.
- ↑ Nach anderer Ansicht freilich wäre er beim Versuch, sich durchzuschlagen, in die Hände der bayerischen Knechte gefallen.