Das vierhundertjährige Jubiläum der Leipziger Messen
Das vierhundertjährige Jubiläum der Leipziger Messen.
Leipzig ist nicht nur von alters her berühmt als Hochsitz der Wissenschaften, sondern auch durch die Bedeutung seines Handels und seiner Messen.
Am 20. Juli dieses Jahres vollenden sich 400 Jahre, seit Kaiser Maximilian I. die drei Leipziger „Jahrmärkte“ (die heutigen Messen) erneuerte, confirmierte und bestätigte. Ueber das Konfirmationsjahr dieser großartigen Handelsinstitution sind wir also unterrichtet, während sich das Geburtsjahr derselben nicht feststellen läßt, denn die Messen sind eben nicht mit einem Male entstanden, sondern haben sich ganz allmählich entwickelt. Nach Hasses „Geschichte der Leipziger Messen“, der wir in nachstehendem hauptsächlich folgen, kann man annehmen, daß mindestens im Jahre 1170 bereits Jahrmärkte in Leipzig stattfanden, denn eine zwischen 1156 und 1170 abgefaßte Urkunde Markgraf Ottos des Reichen ordnet an, daß innerhalb einer Meile Weges um die Stadt kein ihr schädlicher Jahrmarkt abgehalten werden dürfe, eine Bestimmung, die doch nur als Maßregel zum Schutze eines in Leipzig bereits bestehenden Jahrmarktes angesehen werden kann.
Das ist die erste urkundliche Erwähnung der Leipziger Messen. Die Urkunde gestattete Leipzig gleichzeitig ein sehr summarisches, von dem Magdeburger abweichendes Verfahren gegen säumige Schuldner und schuf dadurch die Grundlage für die Sicherheit des Handels während der Märkte. Eine Urkunde Dietrichs von Landsberg vom 1. März 1268 gewährte selbst allen den Kaufleuten, mit deren Landesfürsten er in Krieg verwickelt war, Schutz. Das beweist wiederum, daß die Leipziger Märkte nicht bloß aus den zunächst liegenden Landesteilen, sondern auch von fernher besucht wurden, also schon zu jener Zeit die Benennung von Messen verdient hätten. Daß die Jahrmärkte gerade in Leipzig zu solcher Blüte gelangten, verdankten sie der geographischen Lage der Stadt, welche die Mitte des deutschen Reichsgebietes und zugleich einen Knotenpunkt bildete, an dem die Hauptstraßen aus allen Richtungen der Windrose sich kreuzten oder zusammenliefen. Aber auch der Gewerbefleiß der Einwohner, ihr rühriger selbstthätiger Anteil am Handel, die glückliche Handelspolitik des Leipziger Rates sowie die Gunst wohlwollender Fürsten wie wir schon oben sahen, förderten wesentlich dieses Aufblühen des Handels. Bis zum Jahre 1363 wurde freilich in Leipzig der Marktzoll nicht von der Stadt oder dem Markgrafen selbst erhoben, sondern er war von letzterem an Private als Lehen vergeben, was den Rat bei seinen Anordnungen im Marktwesen überaus beschränkte. Am 20. August 1363 belehnte nun Markgraf Friedrich die Stadt mit dem Marktzoll. Das war für die Regelung des Marktwesens von großer Wichtigkeit.
Auch von seiten der Kirchenfürsten erfreuten sich die Leipziger Märkte besonderer Rücksichtnahme. Die Kirchenstrafen, besonders der Bann, welcher auch über die verhängt wurde, welche andere, mit diesen Strafen Belegte, bei sich aufnahmen, waren geeignet, den freien Verkehr in der Handelsstadt an der Pleiße zu beeinträchtigen.
Es war deshalb für die Freiheit des Verkehrs in Leipzig nicht unwesentlich, daß Papst Martin V. am 26. Juli 1419 eine besondere Vergünstigung für die Fälle erteilte, in denen mit dem Kirchenbann belegte Personen nach Leipzig kommen und sich dort aufhalten sollen.
Für die bessere Zugänglichkeit der Stadt, die besonders den von Westen herkommenden Fremden durch die vielen Flußläufe und das Ueberschwemmungsgebiet derselben erschwert war, sorgte gleichfalls die Kirche. Da die Stadt die hierfür nötigen Kosten nicht aufzubringen vermochte, wandte sie sich an den Bischof Johann von Merseburg, der ihr auch bereitwillig half, indem er die Bewohner seiner Diöcese zu Beiträgen für Herstellung von Brücken und Wegen in Leipzigs Umgebung aufforderte und den Spendern einen vierzigtägigen Ablaß erteilte.
Als eine Förderung der Messen war es ferner anzusehen, daß am 24. Juni 1423 Kurfürst Friedrich I. der Stadt die Gerichte für 1500 rhein. Gulden verkaufte und dadurch die Selbständigkeit und das Ansehen Leipzigs mehrte.
Bis zum Jahre 1458 bestanden nur die Leipziger Oster- und Michaelismarkt, was aus dem ersten Leipziger Meßprivilegium Kurfürst Friedrichs II. vom 1. November 1458 hervorgeht, das den Neujahrsmarkt erst einsetzt. Im Jahre 1497 reihte sich dann das schon eingangs erwähnte Privileg Kaiser Maximilians I. von 1497 betreffs aller drei Märkte an. Dieses „erneuert, confirmirt und bestätigt die drei Leipziger Jahrmärkte“, nämlich eines jeden Jahres einen auf den Sonntag Jubilate anzufangen und bis auf den Sonntag Cantate nächst danach währende, den andern auf den nächsten Sonntag nach St. Michaelis anzusehen, und acht Tage die nächsten danach währende, und den dritten auf den heiligen Neuen Jahrstag anzuheben und auch die nächsten acht Tage danach folgende zu währen. Es verspricht allen, welche die Leipziger Märkte besuchen, den kaiserlichen Schutz. Von besonderer Wichtgkeit aber ist die Bestimmung, welche allen Städten und Flecken in den Bistümern Magdeburg, Halberstadt, Meißen, Merseburg und Naumburg es untersagte, irgend welche neuen Jahrmärkte einzurichten oder Freiheiten dazu zu erwerben. Diesem Privilegium ist es vor allem anderen zuzuschreiben, daß die Leipziger Märkte einen so gewaltigen Aufschwung nahmen, und mit Recht läßt man darum die 400jährige Wiederkehr des Tages, an dem das Privileg erteilt wurde, nicht vorübergehen, ohne dieses Ereignisses in Dankbarkeit zu gedenken.
Aber noch eines Privilegs vom Jahre müssen wir Erwähnung thun, das von demselben kaiserlichen Herrn herrührt und dem fast die gleiche Wichtigkeit beizumessen ist. Es fügt dem vorigen das Recht hinzu, in Leipzig Niederlage und Stapel mit großer und kleiner Ware zu haben, und ordnet an, daß [437] hinfüro kein Jahrmarkt, Messe oder Niederlage immer fünfzehn Meilen gerings um die obbestimmte Stadt Leipzig soll aufgerichtet und gehalten werden in keinerlei Weise“.
Nach dem Stapelrecht mußten also alle Waren, die innerhalb 15 Meilen rings um die Stadt befördert wurden, nach Leipzig gebracht und mehrere Tage feilgeboten werden. Diese beiden hier zuletzt angeführten kaiserlichen Privilegien von 1497 und 1507 blieben für lange die Grundlage der Rechtsverhältnisse der Leipziger Messen.
Alle diese Verordnungen waren gleichsam die Stufen, welche die wichtige Institution der Leipziger Messen zu ihrer Höhe emporführten. Aber die Geschichte berichtet auch von einer langen Kette ungünstiger Ereignisse, die sich zu recht drückender Fessel gestalteten. Als ein schwer lastendes Glied derselben machte sich die Konkurrenz geltend, und es war den Märkten anderer Städte gegenüber durchaus nicht leicht, die Leipziger Messen zu erhalten und weiter auszubilden. So entsprang das bedeutungsvollste der Privilegien vom Jahre 1497 einer Streitigkeit mit dem benachbarten Halle, bei welcher Leipzig dasselbe durch Vermittlung Albrechts des Beherzten erlangte. Auch das spätere Privileg des Kaisers vom 23. Juni 1507 ist auf Streitigkeiten Leipzigs mit Erfurt zurückzuführen. So hat die alte Meßstadt im Laufe der Zeiten mit nicht weniger denn 45 Orten um die Erhaltung ihrer Messen und des Stapelrechtes im Kampfe gelegen. Dann hinterließ die Fackel des Krieges, die sich immer von neuem entzündete, ihre tiefen Brandmale. Schon die Neujahrs- und Ostermesse 1547 wurde durch den Schmalkaldischen Krieg sehr erschwert. Dann warf der Dreißigjährige Krieg seine düsteren Schatten über die Pleißestadt, die zu öfteren Malen belagert und eingenommen wurde. Eine Denkschrift des Leipziger Rats sagt darüber: „Wie viel mahle haben dergleichen trangselige Zeiten verhindert, daß die Messen nicht haben gebauet werden können … Wie viel Leute haben sich gar von hier gewendet und anderer Orten niedergelassen …“
Zu diesen schweren Schädigungen gesellte sich dann im Gefolge des Kriegs auch noch die Pest, welche im Jahre 1680 die Lindenstadt heimsuchte und die Messen von hier fast zu vertreiben drohte. Aber mit all diesen Fährlichkeiten wußte immer wieder die weise Politik des Rats fertig zu werden, welcher die Abhaltung der Messen, wenn es geboten schien, auf günstigere sicherere Zeiten verschob, den Handelsleuten von den Fürsten neue Vergünstigungen erwirkte und andere Erleichterungen schuf. In den düsteren Gang der Begebenheiten fällt wie ein erfreulicher Lichtblick die Einsetzung des Leipziger Handelsgerichts im Jahre 1683, das zur Hebung des Vertrauens in die Meßgeschäfte sehr viel beigetragen hat. Von demselben wurde eine strenge Handhabung des Wechselrechts durchgeführt, welche sich bei dem regen Meßwechselverkehr als durchaus nötig erwies.
Die Geschichte erzählt noch von anderen schweren Zeiten, welche über die Leipziger Messen gekommen sind. Von diesen müssen wir den Siebenjährigen Krieg noch hervorheben, in dem Leipzig von den Preußen besetzt wurde und viele Millionen Kriegskontribution zu zahlen hatte. Aber auch diese Verluste wurden überwunden. Hatten doch die Leipziger schon Anfang des 18. Jahrhunderts den Vorrang vor allen anderen Reichsmessen erlangt. Auch die Gründung der Breslauer Messen durch Friedrich den Großen, dessen Bestreben es war, den Handel von Leipzig dorthin zu ziehen, scheiterte, und Leipzig verblieb der erste der deutschen Meßplätze. Die Dauer der Messen war nach dem kaiserlichen Privileg vom Jahre 1497 – wie wir sahen – ursprünglich auf je eine Woche festgesetzt. Allmählich aber war die Oster- sowohl wie die Michaelismesse dem Bedürfnis entsprechend auf drei Wochen verlängert worden.
Ein harter Schlag war es für den Leipziger Handel, als Napoleon im Jahre 1806 die Kontinentalsperre anordnete, die jeden Verkehr mit England untersagte. Infolge derselben wurden alle englischen Waren, die sich in Leipzig vorfanden, mit Beschlag belegt. Die Kontinentalsperre hatte jedoch auch ihre guten Folgen. Durch sie wurde die Textilindustrie Sachsens zu hoher Blüte entfaltet und Deutschland von dem Handel mit England in dem so wichtigen Industriezweig unabhängig gemacht.
Durch die uns zur Verfügung stehenden Berichte über die Messen zieht sich wie ein roter Faden die fortgesetzte Klage über die Entwicklung des Zollwesens in Preußen, Oesterreich und Rußland. Die preußische Zollgrenze rückte infolge Zusammenschrumpfung von Sachsens Grenzen im Jahre 1815 bis dicht an Leipzig heran, was naturgemäß den Meßhandel ungemein schädigen mußte. Da gab es eben nur die eine Rettung – den Eintritt Sachsens in den Zollverein. Dieser erfolgte denn auch im Jahre 1833 und mit ihm erweiterte sich der Umfang des Meßgeschäftes so, daß er den aller früheren Blüteperioden überragte.
Aber Gut und Geld waren es nicht allein, bei denen man seine Rechnung zu finden hoffte. Den Messen – so nüchtern sich die hohen Zahlen ihres Umsatzes ausnehmen – fehlte es auch nicht an allerlei Zügen, denen ein poetischer Reiz innewohnte. [438] Schon eine Reise nach Leipzig in jener Zeit, in welcher der schrille Pfiff der Lokomotive noch unbekannt war, entbehrte nicht einer gewissen Romantik. Wer nicht die Mittel besaß, den Postwagen zu benutzen, mußte den oft recht langen und beschwerlichen Weg auf dem Frachtwagen zurücklegen. Da fehlte es denn nicht an großen und kleinen Abenteuern. Jedenfalls mußte man auf alles gefaßt sein. War hier der Wagen auf schlechter Straße mit gebrochenem Rad liegen geblieben und hatte man ihn endlich mit Hilfe eines weit hergeholten Schmiedes und anderer guter Leute wieder flott gemacht, so fiel man dort wohl in die Hände von Wegelagerern oder Raubrittern, die von kurfürstlichen oder kaiserlichen Privilegien und dem darin dem Kaufmann zugesagten Schutz nichts zu wissen schienen. War man aber endlich am Ziele angelangt, so war die Freude groß, und die mächtige Wagenburg, die bereits aufgefahren war, ließ erwarten, daß man auch Geschäftsfreunde am Platze treffen werde.
Dann bot das buntbewegte Treiben der fahrenden Leute viel des Interessanten und nahm mit seinem eigenen Zauber selbst den Nüchternsten gefangen. Die Schaustellungen der Seiltänzer, Feuerfresser und Rumpfmenschen, denen jegliche Glieder fehlten, ferner der Zwerge, Kraftmenschen, Akrobaten und Taschenspieler bildeten kräftige Anziehungspunkte der Messen. Andere zeigten mechanische Kunstwerke oder führten wilde Tiere vor. Die Leipziger Stadtbibliothek verwahrt eine ganze Anzahl alter Meßzettel, die derartige Schaustücke in marktschreierischer Weise ankündigen. Ein solcher aus dem Jahre 1746 thut kund, daß ein lebendes Rhinoceros angekommen sei, ein Tier, das bis dahin in Deutschland noch nie gesehen worden war. Es ist dasselbe Rhinoceros, welches den Dichter Gellert veranlaßte, die bekannte Fabel „Der arme Greis“ mit den Worten zu beginnen. „Um das Rhinoceros zu seh’n-“. Ja, diese Sehenswürdigkeiten waren ein wesentlicher Bestandteil der Messen geworden, der sich trotz aller Veränderungen, welche die Zeit mit sich brachte, bis heute erhalten hat. Damals übten sie ihre magnetische Kraft sogar auf gekrönte Häupter aus. Der kurfürstliche Hof und die Fürsten benachbarter Länder besuchten die Messen und schlugen in Leipzig ihre glänzenden Hoflager auf. Die Chronisten wissen gelegentlich der Besuche Augusts des Starken im Anfang des vorigen Jahrhunderts viel von Festen, Aufzügen, Musikaufführungen, Illuminationen, Tierkämpfen usw. zu erzählen. Unser Bild auf S. 436 zeigt, daß der Fürst aber auch für den Handel selbst Interesse hegte, ja zuweilen in eigener Person Einkäufe zu machen liebte. Es stellt Bräunigkes Hof, den Vorläufer des jetzigen Hohmanns Hofs auf der Petersstraße, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts dar. Hier hatten der Holländer Schenk und andere seiner Landsleute zur Messe ihre Läden. Der Bilderhändler Schenk erhält eben vom Kurfürsten und dessen Gefolge Besuch. Er ist aus seinem im rechten Seitengebäude befindlichen Laden herausgetreten und geht dem hohen Herrn dienstbeflissen entgegen. Winkt ihm doch doppelter Gewinn, Gold für dieses oder jenes teure Bild, dann aber auch Mehrung seines Geschäftsrufes durch den Besuch des Fürsten, was er beides wohl zu schätzen weiß.
Wer sich für Völkerkunde interessierte, konnte von jeher auf den Leipziger Messen eingehende Studien machen. Fritz Bergen hat nach dem Werke „Leipziger Meßscenen“, das 1804 bis 1805 bei E. F. Steinacker in Leipzig erschien, eine Reihe interessanter Gruppenbilder gezeichnet, die uns in das Meßtreiben, wie es sich an der Wende des vorigen Jahrhunderts gestaltete, zurückversetzen. Das eine (S. 437) führt uns mitten hinein in eine Kolonie von Orientalen in ihren Nationaltrachten, namentlich Griechen und Türken, die nach vollbrachtem Meßgeschäft, ohne sich um Politik zu kümmern, eine Friedenspfeife miteinander rauchen. Aber auch dem, welcher Vergnügen daran findet, der charakteristischen Eigenart, wie sie sich durch fortgesetzte Ausübung eines Berufes in seinen Mitmenschen ausprägt, nachzugehen, öffnet sich hier ein ergiebiges Beobachtungsfeld. Er findet Typen aller Berufsklassen; die originelle Gestalt des alten Antiquars und seine Kunden, das Ehepaar vom Lande, dessen bessere Hälfte um ein Andachtsbuch feilscht, während er nach dem Arzneibuch greift, das allerlei Mittel gegen Gebresten des Viehs enthält, und endlich den Gelehrten daneben, welcher einen seltenen Druck entdeckt zu haben scheint. Er gelangt zu dem Verkaufsstande des Mannes, der die Welt mit dem Pantoffel versieht und dessen „Kanonen“ wie angegossen sitzen, und der dabei mit übermenschlicher Geduld einem Nörgler Stück für Stück seiner Ware anprobieren hilft, obschon er weiß, daß alle Mühe umsonst ist und es zu keinem Kaufe kommen wird. – Noch treibt der Aberglaube allenthalben sein spukhaftes Wesen. Wahrsagerinnen und Kartenschlägerinnen werden überlaufen, und daneben bietet die Messe allerlei Gelegenheit, das Orakel zu [439] befragen. Besonders das Tierkreisorakel erfreute sich lebhafter Inanspruchnahme. In einem Blechkasten mit Wasser standen zwölf Blechbehälter aufrecht, welche die Namen der betreffenden Sternbilder trugen. Inmitten des Bassins war eine Vorrichtung, durch die man mittels Druckes auf eine Schweinsblase im Wasser eine Nixe von Glas erscheinen lassen konnte. Auf welchen der Blechbehälter das Nixlein zuschwamm, dem wurde die gedruckte Weissagung entnommen und den Fragestellerinnen – denn solche waren es zumeist – ausgehändigt. (Vgl. die Abbildung S. 437.)
Neben der inneren Stadt wurde der Platz vor dem Grimmaischen Thore, der jetzige Augustusplatz, vom Meßverkehr schon in frühester Zeit stark in Anspruch genommen. Unser Bild (S. 440.), welches ebenso wie das untenstehende der Wagenburg auf dem Fleischerplatze einem im Besitze des Museums des Vereins für die Geschichte Leipzigs befindlichen Bildertableau entnommen ist, stammt aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Schon ist der Meßhandel, wie wir an den belebten Verkaufsständen sehen, in vollem Gange, aber noch immer wird der Meßstadt durch das Grimmaische Thor in langen Wagenreihen neue Ware zugeführt. Seitdem hat dieser Platz freilich ein anderes Gesicht bekommen. Das Grimmaische Thor ist längst gefallen und der Augustusplatz mit seinen 39 400 Geviertmetern Flächenraum, seinem weiten Kranze stattlicher Monumentalbauten gilt nicht nur als einer der größten, sondern auch schönsten Plätze Europas. Das Meßgetriebe auf ihm ist noch stärker geworden, nachdem man die Verkäufer mit ihren Buden von den Straßen der inneren Stadt hierher verwiesen hat. Früher schon hatte man – um Raum für all die Buden und Stände zu schaffen – die großen Rasenbeete von einst entfernt und nur ein kleinerer Teil des Platzes durfte fürderhin noch mit gärtnerischen Anlagen geschmückt werden. Heute reiht sich Bude an Bude zu langgestreckten Zeilen, zwischen denen die kauflustige Menge sich drängt – ein Treiben, das an manchen Tagen einen mächtigen Eindruck hinterläßt. Unsere Abbildung (S. 429) gewährt uns einen Blick auf den mit Budenreihen bedeckten Platz, im Vordergrunde des Bildes sehen wir den mit einem Obelisken gezierten Mendebrunnen, im Hintergrunde das prachtvolle Neue Theater. Einen nicht minder großartigen Anblick bietet das Leben im Innern der Stadt. Unser Bild S. 441 stellt die Petersstraße in der Gegenwart dar, die zu Meßzeiten mit ihren unzähligen Firmenschildern bis zu den Dächern hinauf ein höchst eigenartiges Aussehen annimmt.
Leipzig hat sich von jeher um die Erhaltung seines Kleinods, der Messen, in berechtigter Sorge befunden und sollte deshalb bis in die neueste Zeit nicht zur Ruhe kommen. Als man nämlich im Jahre 1892 mit Rücksicht auf die auch in Europa um sich greifende Cholera und die Gefahr einer Einschleppung derselben die Herbstmesse ausfallen ließ, suchte die deutsche Reichshauptstadt die Messen an sich zu ziehen. Die durch das Vorgehen Berlins drohende Gefahr veranlaßte nun aber Leipzig, alles aufzubieten, die Messen sich nicht nur zu erhalten, sondern sie in jeder Weise zu fördern und zu vervollkommnen. Die Handelskammer begann im Verein mit dem Rat der Stadt und unterstützt von der Regierung des Landes eine fieberhafte Thätigkeit. Man mußte zugeben, daß die Messen in einigen ihrer Teile zurückgegangen waren, suchte nach den Gründen dafür und fand Mängel, die beseitigt werden mußten. Da machte sich vor allem eine teilweise Früherlegung der Messen nötig, weil ihre Termine zur Deckung des Bedarfs für die Saison zu spät fielen. Die Dauer der Neujahrsmesse ward nunmehr vom 3. bis 16. Januar und die der Ostermesse vom Sonntag Quasimodogeniti bis zum Cantatesonntag, mit dem die mehrtägige Buchhändlermesse beginnt, festgesetzt, während die Michaelismesse fortan schon am letzten Sonntag im August anfängt und 22 Tage währt. Alle möglichen Erleichterungen und Verbilligungen zum Teil durch eine neue Meßordnung, wurden für den Meßverkehr geschaffen.
Was den Rauchwarenhandel, den Buchhandel, der seit dem Niedergang der Frankfurter Messe nach dem Dreißigjährigen Krieg in der Pleißestadt seinen Hauptsitz und seine eigenartige Messe hat, und moderne Zweige anbetrifft, so stehen Leipzigs Messen noch heute auf ihrer vollen Höhe. Aber der Kleinhandel, der früher für die ganze zwischen den Messen liegende Zeit den Bedarf großer Gebiete zu decken hatte, ist zurückgegangen und dient heute fast nur noch den örtlichen Bedürfnissen. Daran war nun freilich nichts zu ändern, denn dieser Rückgang war durch die Erfindung der Eisenbahnen, des Telegraphen, durch die billige Postpaketbeförderung und andere Verkehrserleichterungen hervorgerufen worden. Dagegen erkannte man wohl, welche Bedeutung der Musterlagerverkehr gewonnen hatte, und daß derselbe noch einer großen Ausdehnung fähig sein würde. Diese Einsicht zeitigte die Einrichtung einer Vormesse für die keramischen, Bronce-, Kurz-, Galanterie-, Spiel- und andere Waren verwandter Geschäftszweige, welche vom ersten Montag im März bis zum Sonnabend der darauffolgenden Woche abgehalten wird.
An der Stelle, wo das alte Gewandhaus und das Konservatorium standen, welche durch neue Gebäude im Südwesten der Stadt ersetzt sind, also zwischen Neumarkt und Universitätsstraße, wurde mit einem Kostenaufwand von 900 000 Mark ein hohes „Kaufhaus“ errichtet, um geeignete Räume zum Unterbringen der Musterlager zu schaffen. In diesem nun und den umliegenden Häusern kann man zur Zeit der Messe viel herrliche Dinge, teilweise von märchenhafter Pracht, bei einander sehen, und bei einer Wanderung durch all die Räumlichkeiten, von denen jede einen Bazar für sich bildet, wird man des Schauens und Bewunderns nicht müde. Hier finden also die Käufer Fabrikanten oder Vertreter derselben mit ihren Musterlagern in bequem beieinanderliegenden Räumen vor und können so mit größter Zeitersparnis die verschiedenen Erzeugnisse miteinander vergleichen und das ihnen passend [440] Erscheinende bei Aufgabe ihrer Bestellungen auswählen. Die Fabrikanten treten auf diese Weise immer wieder in persönlichen Verkehr mit ihren alten Kunden, gewinnen neue und können ihre Ansichten über die Gestaltung der künftigen Produktion gegeneinander austauschen.
So hat sich denn der unmittelbare Umsatz der Messen als reiner Warenmessen, wie wir gesehen haben, vermindert, im Musterlagerverkehr aber ist ihnen ein glänzender Ersatz dafür unter Berücksichtigung von Mode und praktischem Bedürfnis erstanden. Und so werden denn die Messen auch fernerhin eine unentbehrliche Einrichtung bleiben, ja in Zukunft mehr denn je den Austausch der Erzeugnisse aller Weltteile vermitteln.