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Engelid

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Textdaten
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Autor: Balduin Möllhausen
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Titel: Engelid
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22-26, S. 357-360, 373-376, 389-392, 405-410, 421-424
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[357]

Engelid.

Novelle von Balduin Möllhausen.


1.

Ein bleigrauer Himmel hing über der norwegischen Küste. Zwischen den Inseln und Schärenfelsen, welche den natürlichen Schutz der Einfahrt in den Nord-Fjord bilden, lag das Meer ruhig. Die schweren Dünungen des Oceans brachen sich draußen an dem wild zerklüfteten und zersplitterten Granitpanzer, der, abgeschliffen durch den vieltausendjährigen Anprall träge abwärts gleitender Eismassen, das Ufer rings umzäunte.

Wo die landwärts stehende Strömung eine offene Bahn zwischen den zahlreichen Felseilanden fand, da wälzte es sich hügelähnlich herein, jedoch um nach kurzem Rollen sich zu ebnen, einzuschlummern angesichts der melancholischen Umgebung. Einzuschlummern – denn Farben und Formen trugen in gleichem Maße einen gewissen einschläfernden Charakter. Ueberall, je nach den verschiedenen Entfernungen, sah das Auge matte Abstufungen eines kalten Graublau: graublau dehnte sich die unregelmäßig begrenzte Wasserfläche aus; graublau erhoben sich die gewaltigen Felsmassen der Inseln Hornelen, Batalden und Aralden [aus dem] Meere; graublau ragten dazwischen vereinzelte Klippen empor, während landwärts zerklüftete Plateaus düster über den in dumpfer Stille daliegenden, gleichsam erblindeten Wasserspiegel blickten. Und erblindet durfte man ihn in der That nennen, strahlte er doch, außer dem grauen Himmel, nichts zurück; schien er doch mit dem Gestein in eine einzige starre Masse verwebt zu sein. Nur wenn ein schärferer Windstoß darüber hinpeitschte und strichweise die Fluthen kräuselte, schoß es wie gespenstisches Leben einher, um nach kurzer Frist wieder zu ersterben.

Obwohl es noch Sommer war, machte der Anblick der starren Eintönigkeit das Herz frösteln. Die fernen duftigen Höhen mit dazwischen gestreuten weißen Feldern ewigen Schnees brachten nur dürftige Abwechselung in diese Einöde von Wasser und Fels. Man hätte sie mit phantastischen Träumen aus der Eiszeit vergleichen mögen, mit verkörperten nordischen Märchen von verwegenen Wikingern, gewaltigen Zauberern, Riesen und Meerungeheuern. –

Lautlose Stille überall! Hier und dort schwebte eine Möve mit trägem Flügelschlage einher, rasteten auf einer Klippe einige Robben, steuerten Tauch-Enten mit kaum wahrnehmbarer Bewegung durch die Fluth. Alles melancholisch – melancholisch gemahnte auch ein großes viereckiges, braunrothes Segel, welches, anscheinend aus dem Nord-Fjord kommend, seinen Cours zwischen der Horneleninsel und dem Festlande hindurchhielt. Es gehörte zu einem plump gebauten Fahrzeuge mit niedrigem stumpfem Mast, einer sogenannten Nordlandsjacht, und folgte schwerfällig dem Druck der matten Luftströmung auf die Insel Aralden zu.

Statt des Bugspriets erhob sich vorn der nach oben verlängerte Kielbalken gegen vier Fuß hoch über den Rand des seltsamen Schiffsgebäudes. Dort lehnte er sich etwas zurück, sodaß das obere Ende nur eines Schmuckes in Form eines Drachenkopfes bedurft hätte, um ein Boot zu veranschaulichen, wie sie vor tausend Jahren, von raublustigen Recken gesteuert, ihren Weg zwischen den Schären hindurch nahmen. Ein Schiffsknecht stand auf der Bedachung des kleinen Kajütraumes am Steuer, einer Art Deichsel, die er bei dem stetigen, wenn auch matten Winde nur selten ein wenig nach der einen oder der anderen Seite hinüberzuschieben brauchte.

Zwei andere Männer saßen vorn neben dem Schiffsschnabel, die Füße auf dem Verdeck einer Art Vorrathskammer. Die Ladung, welche den ganzen übrigen Raum ausfüllte, bestand aus gedörrten Fischen und war mit einem Stück getheerter Leinwand bedeckt. Da nun das einzige, von einer kurzen Raae niederhängende Segel keiner sonderlichen Aufmerksamkeit oder Fürsorge bedurfte, so mochten die beiden Männer ungestört ihre kurzen Pfeifen rauchen und ihrem Gespräch nachhängen.

„Höre, Knut, es gereut mich in der That, daß Du nicht weiter mit willst,“ erklärte der Schiffseigner, eine verwitterte echte Lootsengestalt mit scharfen blauen Augen und bereits etwas ergrautem schwarzem Haar und Bart. „Deine Gesellschaft sollte mir lieb gewesen sein bis nach Bergen hinunter; denn kommt Jemand, wie Du, von draußen herein, wo er seine zehn Jahre und drüber auf allen Meeren kreuzte, so hat er mehr gesehen, als Andere, und weiß manch gutes Garn abzuspinnen. Bei Gott, Knut, in Bergen wollte ich Dich auf eine Stelle führen, da giebt’s einen Punsch, der auf der ganzen Welt seines Gleichen sucht. Der fließt nämlich über die Zunge wie Milch, wärmt’s Innere ordentlich auf, daß es eine Lust ist und die Munterkeit Dir aus den Augen sprüht, so wahr ich Olsen heiße.“

Knut, ein ungewöhnlich großer und kräftiger Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, mit einem offenen, ernsten Gesicht, nahm den Hut vom Haupte und strich mit der Hand durch sein schlichtes, blondes Haar und den röthlichen Vollbart. Er sandte einen träumerischen Blick nach den schroffen Höhen der Horneleninsel hinüber, und sich wieder bedeckend, antwortete er mit sorglosem Achselzucken:

„Das klingt verlockend; ich wäre auch der Mann für Dich, aber ich muß auf Aralden vorsprechen – da hinten. Da lebt Jemand, den ich wiedersehen möchte – Olaf heißt er, wenn Du ihn kennst.“

„Olaf, den Spielmann? Wer kennte den nicht! Freilich, seit Jahren kreuzte er meinen Weg nicht. Er ist nicht mehr jung, [358] und da mag er’s aufgegeben haben, hierhin und dahin zu reisen, um den Leuten Eins aufzuspielen. Also auf Aralden wohnt der? Nun ja – da konnt’ ich ihm nicht viel begegnen. Aralden lag mir immer zu weit aus dem Cours. Und was sollt’ ich da? Der Felsen sieht nicht recht nach Menschen aus.“

„Viel ist nicht dahinter, aber ein Mann, der sich auf’s Fischen versteht, kann auf einem Felsen hausen, nicht größer, als ein guter Klapptisch, ohne dabei in Noth zu gerathen. Und hat der Olaf es wegen des Alters aufgegeben, mit der Langeleike[1] seine Fahrten zu machen, so ist er doch nicht zu alt, um im Boot zu sitzen und Angeln auszuwerfen. Mir Eins aufzuspielen zum Gedächtniß an die alten Zeiten – das wird er ebenfalls wohl noch verstehen.“

„Weiter willst Du nichts, Knut? Nun, deswegen brauchtest Du den Umweg nicht zu machen; komm mit nach Bergen hinunter, rath’ ich Dir. Ist Dir d’rum zu thun, setz’ ich Dich im Sogne-Fjord ab.“

„Nein, Olsen, ich muß den Olaf sprechen. Hab’ nämlich vor meiner Flucht ein Wort mit ihm gewechselt – aber damit Du’s weißt, ich gab ihm den Schlüssel zu meinem Hause im Lyster-Fjord und eine Vollmacht, ein paar hundert Kronen für mich einzucassiren, weil ich selber keine Zeit dazu hatte. Nur seinetwegen nahm ich in New-York auf einem Schiffe Heuer, das auf Trondhjem fuhr. Von Bergen aus wär’s mir näher nach dem Lyster-Fjord gewesen.“

„Wie’s auch mit dem Olaf steht,“ lautete die Antwort des Schiffers, „etwas Schriftliches hast Du Dir von ihm d’rüber geben lassen?“

„Der Olaf ist treu und ehrlich wie Gold.“

„Ich meine von wegen Leben und Sterben. Als ich ihn das letzte Mal sah, und das ist eine Reihe von Jahren her, da erschien er mir recht hinfällig.“

„Nein, Schriftliches habe ich nicht. Gestorben wird er auch wohl nicht sein; denn vor zehn Jahren war er trotz seiner Sechszig noch rüstig genug. Sollte er aber dennoch todt sein, nun so starb er als ein ehrlicher Mann, und übergab er das Geld Jemand, der’s veruntreuen möchte, so ist’s nicht seine Schuld, und mich macht’s nicht unglücklich. Eine Kleinigkeit hab’ ich mir erworben und erspart; das genügt, um mein Heimwesen wieder in einen ordentlichen Gang zu bringen.“

„Und zu heirathen, Knut, und ein geruhiges Leben zu führen.“

„Das müßte wunderbar kommen. Denn erstens war ich gezwungen, um’s Weibervolk aus dem Lande zu gehen, und dann, Olsen, steh’ ich in einem Alter, in welchem man durch ein glattes Gesicht nicht leicht mehr aus dem Schick gebracht wird. Hätt’ ich übrigens wirklich Lust, mein Eigenthum mit einer Frau zu theilen, dann müßt’ ich ihr zugethan sein; denn ein Weib zu nehmen, wie man ein Stück Hausgeräth anschafft, ist wider meine Natur.“

„Ansehnliche Mädchen genug im Lyster-Fjord, Knut, und wirthschaftlich obenein! Als Du fortgingst, waren’s Kinder; die sind zur Zeit herangewachsen.“

„Für mich sind es immer noch Kinder und bleiben es. Die damals zum Tanz gingen, sind längst Frauen, und keine Einzige war darunter, die mir’s Herz schwer gemacht hätte.“

„Und doch war Eine d’runter, für die Du auf einen ernsten Streit eingingst. Verdammt, Knut, ich hörte davon, wenn heute auch kaum noch Jemand d’rüber spricht oder viel d’ran denkt.“

„So wird man auch mich vergessen haben und sich schier wundern, wenn eines Morgens meine Hausthür offen steht.“

„Wundern freilich, aber auch eine Freude d’ran haben; denn ich hörte nie, daß Jemand einen Groll gegen Dich gehabt hätte. Selbst die Verwandten des Jansen tragen’s Dir nicht nach. Und wie sollten sie, da er wieder auscurirt wurde? Als er ein Jahr d’rauf starb, da stellten die Doctors fest, daß es eine Lungenentzündung gewesen, die ihn umbrachte, weil er in der Trunkenheit draußen geschlafen hatte. Sie sollen gesagt haben, wegen des Messerstiches hätte er so alt werden können, wie die Bergzacken da drüben. Um ihn getrauert hat überhaupt Niemand. Er war von Hause aus streitsüchtig, und um seine Rechtschaffenheit soll’s nicht sonderlich bestellt gewesen sein. Doch er ist längst todt, und einem Verstorbenen soll man keine schlechte Nachrede halten.“

„Hätt’ ich’s gewußt, wie es mit ihm ablaufen würde, wer weiß, ob ich außer Landes gegangen wäre. Aber die Entscheidung abzuwarten, hatte ich damals keine Zeit. Ich hielt’s für ein großes Glück, daß ich in Bergen Heuer auf einem Engländer fand und an Bord schlüpfte, bevor mir die Polizei auf die Spuren kam. Jetzt weiß ich freilich, daß sie überhaupt nicht viel nach mir suchte.“

„Nun ja, weil es hieß, Du seiest über’s Meer gegangen, und einen Mord hattest Du nicht ausgeführt.“

„Das konnte in den ersten Tagen Niemand wissen. Hätten sie mich gefaßt, wär’ mir’s Gefängniß nicht erspart geblieben. Das aber galt mir als eine Schmach. Mich nicht frei bewegen zu können und durch eiserne Vergitterung hindurch andere Menschen ihrer Wege gehen zu sehen – Olsen, lange hätte ich das nicht ertragen. In meinem Rechte war ich ebenfalls. Freilich, darnach fragen die Herren vom Gerichte nicht viel. Nur etwas ist zu beklagen, nämlich, daß ich diese langen Jahre mich mit dem Gedanken herumtrug, um eine Sache, die so wenig werth, eine Blutschuld auf mich geladen zu haben. Nie wurde mir ordentlich leicht um’s Herz, und als ich im vorigen Jahre von einem Manne aus dieser Gegend zufällig – darnach gefragt hätt’ ich nimmermehr – die Wahrheit erfuhr, da kam es über mich wie eine mächtige Sehnsucht nach unserer Schärenküste. Aber es ist erstaunlich: jetzt, da ich wieder da bin, ist die Freude nicht halb so groß, wie ich sie mir vorstellte. Ich merke, daß ich zehn Jahre älter und mürrisch geworden bin, und das treibt mir Keiner mehr aus.“

„Frohsinn kommt mit der Zeit, Knut, wenn Du erst wieder bekannter hier herum geworden. Doch wie war’s mit dem Jansen? Den richtigen Grund erfuhr ich nie. Der Eine sprach so, der Andere so – das heißt, wenn’s Dir nicht zuwider ist, über alte Geschichten zu reden.“

„Warum sollt’ ich nicht d’rüber reden jetzt? Denn von meiner Seite lag am wenigsten eine Unehrlichkeit in dem Handel. Gab ein Mädchen die erste Veranlassung, so konnte das immerhin in Güte ausgeglichen werden, hätte der Jansen mit seinen giftigen Reden mir das Blut nicht zum Sieden gebracht. Der Olaf war nämlich gekommen, und der spielte zum Tanze auf, und ich leugne nicht, daß die Engelid das schmuckste Ding auf dem Platze war. That ich aber schön bei ihr, so verschuldete das mein junges Blut und weil’s mir gefiel, daß sie zu mir hielt und mit mir am liebsten tanzte. Das nun mochte dem Jansen zuwider sein. Ich sah’s ihm an, und das erfreute mich doppelt, weil ich nie sonderlich gut auf ihn zu sprechen gewesen. So hatte die Engelid mir wieder einen Tanz zugesagt. Sie stand neben mir, und ich hatte meine Lust daran, zu hören, was die Weiber sprachen – und sie sprachen laut genug, und die Engelid hatten sie gern, weil sie eine Waise war und Jedem zum Wohlgefallen lebte – ‚der Knut und die Engelid passen zusammen.‘ und ‚ein schmuckes Paar ist’s,‘ – das alles hörte ich, und wer weiß, was sonst noch. Solche Schmeichelreden mochten der Engelid ebenfalls in’s Blut gehen; denn als ich ihr die Hand drückte und ihr ein paar Liebesworte zuraunte – verdammt! ich möcht’ einen fünfundzwanzigjährigen gesunden Burschen sehen, der nicht einen Funken von Eitelkeit besäße – nun ja, da fühlte ich auch ihren Händedruck, und der war nicht anders gemeint, als der meinige, das heißt, er kam, wie’s die Gelegenheit gerade mit sich brachte, und hatte nicht mehr zu bedeuten, als ein Uebermaß von Lust und Lebensfreude. Die Lust aber mußte sich regen bei jungem Volke; denn stockte der Tanz, so ging das Bier oder ein kräftiger Wachholder herum. Olaf gab noch ein besonderes Stückchen auf der Langeleike zum Besten und das spielte er, daß es Einem durch’s Mark ging. Wer ihm auf die Finger sah, meinte, daß die Saiten springen müßten, und doch tönte es hell und rein wie silberne Schlittenglocken. Sang er aber gar mit seiner heiseren Stimme das Lied vom Asgardreigen dazu, dann war Alles still, und Jeder glaubte, daß die wilde Jagd auf ihren schwarzen, feuerschnaubenden Gäulen um’s Haus herumsumme und der alte Heidengott mit seinem Hammer das ganze Dach einschlagen müsse. Nun ja, Olsen, freilich zum Erstaunen war’s nicht, daß den jungen Männern der Muth schwoll und kein einziger gescheut hätte, sich mit einem Riesen, wie sie tief unten im Jotungebirge hausen, im Ringkampf zu messen. Und als dann der Jansen mit einer Art Wildheit herantrat, die Engelid um den Leib packte und mit in den Reigen hineinziehen wollte, da that ich das, was jeder Andere an meiner Stelle gethan hätte: Ich [359] ergriff ihn an der Schulter, daß er nicht von dannen konnte, und erklärte ihm, daß die Engelid mir gehöre für den ganzen Abend. Noch war ich friedfertig gestimmt; ich rieth ihm, das Mädchen selbst zu fragen, damit’s entscheide zwischen ihm und mir.

Er sah Engelid in die Augen, fragte sie aber nicht; denn er mochte die Antwort darin lesen, sondern kehrte sich mir zu und meinte, daß ich gut reden habe und er mir kein Wort glaube.

Ich hielt ihn noch immer, und weil der Tanz stockte und alle Augen sich auf mich richteten, um zu erfahren, wie ich die sträfliche Beleidigung hinnehmen würde, stieg mir das Blut in den Kopf. Ich sagte ihm, daß, um zu lügen, ich zuvor bei ihm in die Lehre gegangen sein müsse, und da lachten sie ringsum in dem Gedränge; denn sie gönnten dem Jansen die Schande. Er aber ließ die Engelid fahren und schlug mit der Faust nach mir und rief, ich möchte den Hieb hinunterwürgen und daran ersticken. Ich hatte den Angriff vorgesehen, und so traf er mich nur auf den Arm. Dagegen schlug ich ihn mit der Hand in’s Gesicht, daß es laut durch den Raum schallte, und im nächsten Augenblick standen wir, das Messer in der Faust, einander gegenüber. Nun schritten die älteren Männer ein und brachten uns aus einander. Da sie aber einsahen, daß es ein Unglück gäbe, wenn die Sache nicht gleich geschlichtet werde, kamen sie überein, daß wir den Streit sofort unter ihren Augen ausfechten sollten, und zwar, damit’s Keinem an’s Leben gehe, mit dem Daumennagel in der ersten Kerbe des Messerrückens.

Ich selber war damit zufrieden; denn ein paar gute Schnitte hätten das Blut bald genug abgekühlt, wie nach einem Aderlaß. Doch der Jansen schrie in seiner Wuth:

‚Bis an die dritte Kerbe! anders thu’ ich’s nicht, und Jedem, der mich daran hindert, gehe ich auf den Leib!‘

Um die Sache kurz zu machen – denn in mir kochte es jetzt ebenfalls – erklärte ich mich damit einverstanden, und ein wenig später war Raum geschafft, hatten wir die Hemden bis auf die Hüften herunter gestreift und lag ein Riemen um uns Beide geschnallt, daß wir nicht einen halben Schritt weit aus einander konnten. Das Messer hielt Jeder in der Faust, den Daumennagel in der dritten Kerbe. Nun wurde das Zeichen gegeben; wir stießen zu, und ebenso schnell fing ich sein rechtes Faustgelenk in meiner linken Hand auf, während er es mit mir nicht anders machte. Jetzt begann das Ringen – ein schweres, mannhaftes Ringen. Der Riemen schnitt in unsere Weichen – mit solcher Gewalt drängte Einer den Andern, indem wir mit dem vorgestreckten rechten Knie uns gegenseitig zu Fall zu bringen suchten.

Ich sage Dir, Olsen, die Zuschauer ringsum wagten kaum zu athmen – so hatte ängstliche Spannung sie gepackt; bei der Stille hörte man das Knacken der Sehnen und Gelenke, und in die Augen schauten wir uns mit einer Feindschaft, die nur durch Blut gemäßigt werden konnte.

Plötzlich trat ich mit dem linken Fuß auf eine Beere oder ein Stückchen Lichttalg – was weiß ich’s? Ich glitt aus und sank auf’s Knie, und obwohl ich Jansen’s Hand hielt, gelang es ihm, mir mit dem Messer von oben nach unten über die Rippen zu fahren, und zwar, wie ich’s wohl merkte, mit gänzlich zurückgezogenem Daumen. Kam der Stoß, den er mir nun versetzte, mehr von der Seite, so zerschnitt er mir die Brust bis in’s Herz hinein, wogegen jetzt die spitze Schneide über vier Rippen hinglitt und ebenso viele Schrammen riß, die nicht des Ansehens werth waren. In mir aber war über die Verrätherei eine Wuth erwacht, die meine Kräfte verdoppelte; der erste Blutstropfen war kaum zu Tage, da stand ich wieder aufrecht und trotz Jansen’s festem Griff und seiner Gegenwehr führte ich einen Schlag nach ihm, der ihm zwischen zwei Rippen die Brust einen guten Finger lang aufschlitzte. Mein Daumennagel hatte die Kerbe nicht verlassen. Trotzdem mußte ich ihn schwer getroffen haben; denn seine Hände öffneten sich und bevor Jemand zusprang, um den Riemen zu lösen, sank er mit wildem Blick, ohne einen Laut auszustoßen, zu Boden, im Fallen mich mit sich reißend.

Da gab’s denn freilich groß Geschrei unter den Weibern. Die Männer hingegen, die uns aus einander brachten, auch wohl des Jansen Hinterlist entdeckt hatten, die raunten mir zu, daß es vorbei mit ihm sei und ich mich davon machen möge, bevor es zu spät. Dem Olaf gab ich nur noch einen Wink; dann schlüpfte ich hinaus und wartete vor dem Dorf auf ihn. Er kam auch und erklärte, daß es mit dem Jansen schnell zu Ende gehe, und wenn der ein Wort sagte, verdiente es Glauben. Ich gab ihm daher meinen Hausschlüssel und Anweisungen von wegen meiner Forderungen, und bald darauf befand ich mich auf dem Wege nach Bergen.“

„Ich trau’ dem Jausen zu,“ versetzte Olsen, nachdem Knut geendigt hatte, „daß es überhaupt nicht so arg mit ihm stand und er sich das Ansehen von einem Todten nur gab, um auf gute Art Deine Nachbarschaft los zu werden.“

„War ein Stück Heuchelei im Spiel,“ erwiderte Knut sorglos, „so ist ihm die List geglückt. Mag es darum sein! Er lebt nicht mehr; hätte ich ihn wieder gesehen, so wär’s auch nicht viel anders gewesen. Die zehn Jahre, die ich draußen verbrachte, hätte er mir nicht ersetzen können.“

„Wie hatte sich Engelid, als Ihr Euch in den Haaren lagt?“

„Wer weiß! Ich kümmerte mich nicht d’rum. Der Anblick des strömenden Blutes hatte mich merkwürdig abgekühlt. Ein halbes Dutzend von ihrer Sorte hätte mit den größten Zärtlichkeiten nicht einen Pulsschlag über’s alte Maß aus meinem Herzen herausgeholt.“

Hier lachte Knut spöttisch auf und fügte gleichmüthig hinzu:

„Ich vermuthe, die Engelid hat sogut, wie die anderen Weiber, über Mord geschrieen; wär’ ich vor sie hingetreten, hätte sie mir wohl’s Tanzen für das ganze Leben abgeschworen.“

„Ein oder zwei Jahre später begegnete ich ihr einmal,“ bemerkte Olsen, „ein verwettert hübsches Ding war sie geworden.“

„Wo die wohl ihr Ende genommen haben mag?“ fragte Knut, um das Gespräch überhaupt im Gange zu erhalten, indem er mit den Blicken die Entfernung bis zu der Insel maß, auf die ihn zu landen der Schiffer versprochen hatte.

„Genau weiß ich’s nicht,“ antwortete dieser ebenso sorglos, „komm’ ich doch nur selten in den Lyster-Fjord, und dann giebt’s Anderes zu verhandeln. Nur einmal war sie in der Leute Mäuler. Da hatte nämlich ein Corporal um sie angehalten, und den wollte sie nicht. Dann hatte wieder ein Sägemüller aus dem Lärdal sich in den Kopf gesetzt, sie zu heirathen, und den schlug sie trotz seines erstaunlichen Reichthums aus, und das war in der Ordnung; denn der hätte ihr Großvater sein können. Darauf verschwand sie eines Tages spurlos, und nie wieder hörte Jemand von ihr. Manche wollten behaupten, sie sei dem Corporal nach Christiania oder Stavanger nachgelaufen; Andere wieder, sie habe sich ein Leid angethan. Genug, sie ist verschwunden und verschollen.“

„Schade d’rum!“ bemerkte Knut gedehnt. „Ich bin übrigens neugierig, wie’s in meinem Hause aussieht. Es mag zerfallen sein und im Inneren wird wohl der Staub Fäuste hoch liegen. Das Wollenzeug haben die Motten sicher bis auf den letzten Faden verzehrt, und ist der Regen durch’s Dach gegangen, wird alles Andere verfault sein.“

„Wer weiß,“ entgegnete der Schiffer, „ich hatte einst eine Fracht nach dem Lyster-Fjord und blieb drei Tage dort. Das Gerede kam auch auf Dich, und da hieß es, daß Du noch gute Freunde im Lande haben müßtest. Denn in jedem Sommer sei drei- oder viermal des Abends ein junger Bursche in einer Segeljolle gekommen; der habe, ohne Jemand zu begrüßen oder mit ihm zu reden, das Haus aufgeschlossen und drinnen gesäubert und gearbeitet, sei aber mit Tagesanbruch wieder davongesegelt.“

„Den kann nur der Olaf geschickt haben, um ein wenig zum Rechten zu sehen, und das ist schwerlich viel geworden. Was bringt Jemand in einer einzigen Nacht zu Wege, wenn’s nicht gerade eine Arbeit zum eigenen Vortheil ist? Immerhin bleibt’s eine große Gefälligkeit von dem alten Mann. Er wäre wohl selber gekommen, hätt’s Alter nicht zu schwer auf ihm gelegen. Ich werd’s ja noch erfahren heut.“

„In welcher Richtung liegt seine Hütte?“

„Dort um die Südseite herum in einem stillen Winkel, wo die schlimmen Böen sie nicht fassen. Brauchst mich nicht so weit herumzufahren, sondern magst mich landen, wo’s Dich keinen großen Umweg kostet. In einer Stunde oder zwei gehe ich bequem hin, und das Gehen soll mir gut thun obenein. Auch kenne ich’s Fahrwasser nicht genau da hinter den Felsen, und Deine Jacht hat einen gehörigen Tiefgang.“

„Den hat sie, sonst sollte mich der Umweg nicht gereuen, Dich gerade vor des Olaf’s Thür abzusetzen. Ich hätte selber den Alten gern mal wiedergesehen nach den vielen Jahren. Er wird seine Noth gehabt haben, mit Makrelenangeln genug zu schaffen, [360] um ohne Sorge durch den Winter zu kommen. Die Langeleike ist ein dankbarer Ding, als Leim und Haare. Doch wie lange wirst Du bei ihm bleiben?“

„Wer kann’s wissen? Mich drängt die Zeit nicht. Nach dem Lyster-Fjord komme ich immer früh genug. Ob die Leute sich morgen oder übermorgen über meine Heimkehr wundern, verschlägt nichts. Machen sie mir zu viele Reden, so verkaufe ich das Haus zu jedem Preise und such’ mir eine andere Heimstätte. Vielleicht glückt’s, daß ich eine Stelle bei einem Handelsherrn oder in einem Fischereigeschäft finde. Mir ist Alles einerlei. Nur auf’s Meer hinaus will ich nicht mehr, so lange die alten Berge da drüben noch stehen.“

„Wenn ich wieder von unten heraufkomme,“ sagte der Andere, „bist Du wohl fort, sonst möcht’s mir in den Kopf fahren, Dich sammt dem alten Olaf zu besuchen. Einen guten Trunk wollt’ ich mitbringen, der ihm die Stimme löste. Hoffentlich hat er’s Spiel nicht ganz d’ran gegeben. Ich möchte was d’rum missen, wieder einmal ein ordentliches Nordlandslied von ihm zu hören.“

„Komm immerhin! Bin ich fort, so erfreust Du den Olaf damit. Freilich, die Menschen ändern sich oft. Mancher von den alten Bekannten ist zur Grube gefahren, und die übrigen kenne ich kaum wieder. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Die Berge ringsum und ’s Wasser sehen dagegen noch genau so aus, wie damals, und so haben sie auch wohl vor hundert und tausend Jahren ausgesehen. Vieler Herren Länder hab’ ich gesehen, aber kein’s, das unserer Felsenheimath gleichkäme. Ich krankte förmlich darnach, und jetzt, da ich hier bin, macht’s mich nicht gesund.“

Träumerisch spähte Knut über die den grauen Himmel zurückstrahlende Wasserfläche. Den alten Schiffer befremdete des jüngeren Gefährten Schweigen nicht. Wie um ihn in seinen schwermüthigen Betrachtungen nicht zu stören, blickte er nach den vegetationslosen Abhängen der Hornelen-Insel hinüber, deren bizarre Höhen sich wie eine aus Zinkplatten geschnittene Silhouette von dem düsteren Hintergrunde abzeichneten. Eine stärkere Luftströmung, welche um die Südküste der gewaltigen Felseninsel herum ihren Weg suchte, füllte das Segel etwas straffer, und schneller schob sich der runde Bug der Jacht durch die leicht gekräuselten Fluthen, die, wie liebkosend, ihn mit einem weißen Schaumkranze umgaben. Die melancholische Stimmung der nordischen Natur schien sich sogar auf den Knecht am Steuer übertragen zu haben, denn er unterschied sich in seiner Haltung kaum von dem Schnabelbalken, der zwischen den beiden Männern auf dem Vorderdeck emporragte. Der Cours war ihm vorgeschrieben worden; Dünungen gab es nicht zu bekämpfen, und so rührte die Hand am Steuer sich nur selten und dann kaum merklich. Erst als die Insel, auf welcher Knut zu landen wünschte, dicht vor ihnen lag, belebten die drei schweigsamen Gestalten sich wieder. Knut trat neben den Knecht hin und unterwies ihn, wohin er in dem ihm selbst bekannteren Fahrwasser zu steuern habe, während Olsen die Leine löste, um im entscheidenden Augenblick das Segel fallen zu lassen. So trieb die Jacht auf einen etwas weiter in’s Wasser hinausragenden Vorsprung zu, dessen äußere Form für große Tiefe zeugte und ein hartes Anlegen ermöglichte. Eine kurze Strecke vor demselben sank das Segel, und mit einer scharfen Wendung gelangte das Fahrzeug neben dem Felsen zum Stillstand. Knut’s Zeugsack lag zur Hand. Einen freundschaftlichen Scheidegruß tauschte er mit Olsen, dem Knecht nickte er zu und sprang, seine Habseligkeiten unter dem Arme, auf den Felsen. Fast gleichzeitig schob sich unter Olsen’s und seines Gehülfen Händen die Raae nach dem Maste hinauf, und sobald das Segel sich zu füllen begann, trat der Knecht wieder neben das Steuer.

„Noch einmal vielen Dank und auf Wiedersehen!“ rief Knut dem Schiffer nach.

„Auf ein lustiges Wiedersehen!“ antwortete dieser, und schnell glitt die Jacht aus dem Bereich ihrer Stimmen.

Ein Weilchen blickte Knut ihr träumerisch nach.

Wenn ihn die Berge, die Schärenfelsen, das Wasser und die Beleuchtung rings um ihn daran erinnerten, daß er nunmehr wirklich in seinem Heimathlande, so erschien ihm die alte Nordlandsjacht wie ein vertrauter Freund früherer Tage. Und dennoch, wie lag die Zeit, in welcher dies alles seine tägliche, wenn auch wenig beachtete Augenweide gewesen, in so unabsehbarer Ferne! Sinnend kehrte er sich der Insel zu. Eine kurze Strecke auf dem nur wenig über den Wasserspiegel emporragenden Plateau hinwandelnd, erreichte er das eigentliche Eiland, wo auf dem festen Gestein ein nothdürftig erkennbarer Pfad in wechselnder Höhe sich nach dem südlichen Ufer herumschlängelte.




2.

Eine Stunde und länger war Knut an den schroffen, nur stellenweise mit grünem und silbergrauem Renthiermoos bewachsenen Abhängen hingeschritten, als sich in einiger Entfernung vor ihm eine Schlucht öffnete, die vom Meere aus in den Inselfelsen einschnitt. Dort, wo eine tiefeinschneidende Spalte kleineren Böten eine sichere Zufluchtsstätte gewährte, lag hart am Fuße einer steil aufstrebenden Felswand eine aus kienreichen, mäßig starken Balken errichtete Hütte. Sechs hohe schwere Klötze von etwa drei Fuß Höhe trugen dieselbe, wodurch unterhalb des aus Planken zusammengefügten Fußbodens ein niedriger Schuppen für Fischereigeräthschaften und ein Stall für einige Ziegen hergestellt wurde. Das Dach bestand aus einer dichten Erdschicht, welcher Gras und Kraut üppig entwucherten. Andere grüne Flächen, nur weniger umfangreich als das Dach, wiederholten sich auf den nahen Abhängen, wo die Felsgestaltung das mühsame Auftragen einer Humusschicht und das Anpflanzen von Kartoffeln, Hafer und etwas Gartenvegetabilien ermöglichte.

Als Knut den ersten Anblick der Schlucht gewann, lag bereits der Schleier abendlicher Dunkelheit darüber. Seinem Geiste schwebte indessen Alles noch vor, wie er es zum letzten Male gesehen hatte, und daß seitdem sich dort irgend etwas geändert haben sollte, das nahm er nicht an. War der Pfad doch zunächst derselbe geblieben, sogar das Licht, welches ihm aus dem schwarz beschatteten Felsenwinkel entgegen leuchtete, rief ihm den Eindruck hervor, als sei es in den letzten zehn Jahren kein einziges Mal erloschen, als müßten heute, wie damals, dieselben alten Augen in die Gluth des Herdfeuers starren, aus den lebhaft züngelnden Flammen die geheimnißvollen Lieder herauslohen, mit welchen der greise Olaf sein Spiel auf der Langeleike zu begleiten pflegte.

Als er sich der offen stehenden Thür bis auf etwa hundert Schritte genähert hatte, tönte ihm das durchdringende häßliche Geheul zweier Robben entgegen. Gleich darauf trat, wie er von dem erhellten Hintergrunde leicht unterschied, eine hohe Frauengestalt in die Thür, um die Ursache der ungewöhnlichen Störung zu erkunden. Ihren Zuruf beachteten die beiden Seehunde, die auf dem Vorplatz der Hütte lagen, nicht. Ihre Stimmen wurden vielmehr noch durchdringender, bis sie plötzlich von selbst verstummten und mürrisch grunzend und knurrend in den Raum unterhalb der Hütte krochen.

„Ist dies die Heimstätte des alten Olaf, des Spielmanns?“ fragte Knut, sobald die Robben es ihm ermöglichten, sich verständlich zu machen.

Keine Antwort! Die Gestalt in der Thür lehnte sich an den einen Pfosten und sah durch das Dunkel regungslos zu dem Fremden hinüber. Erst nach längerem Zögern und nachdem Knut sich den zur Thür hinaufführenden Stufen genähert hatte, antwortete sie mit tiefem, melodischem Organ:

„Es ist die Hütte, welche Olaf, der Spielmann, einst eigenhändig errichtete und länger als dreißig Jahre bewohnte.“

„Das hört sich an, als fände ich ihn nicht zu Hause,“ fuhr Knut fort und blieb auf der untersten Stufe stehen. „Vielleicht zu einem Nachbarn gewandert mit seinem Saitenspiele – das erfordert in diesem Theile der Welt Zeit.“

„Zu vielen Nachbarn,“ hieß es mit eigenthümlich bewegter Stimme zurück, „nämlich zu denen, die einst seine Nachbarn gewesen weit und breit und die ihm längst vorausgingen.“

„Mit anderen Worten, der ehrliche Olaf ist todt?“ fragte Knut, durch die unerwartete Kunde augenscheinlich betrübt.

„Ja, er ist todt, gestorben schon vor Jahren. Drüben in Florö auf dem Kirchhofe schläft er. Das hindert indessen nicht, daß Du in seinem Hause willkommen bist für die Nacht, für morgen und auf so lange, wie’s Dir gefällt.“

[373] „Für zwei Nächte und einen Tag mache ich von Deiner Gastfreundschaft Gebrauch,“ erklärte Knut, indem er der einsamen Schärenbewohnerin die Hand zum Gruß reichte und ihr in die Hütte folgte, „dann findet sich wohl Jemand, der mich nach Frägö übersetzt. Da halten die Dampfschiffe; die bieten mir Gelegenheit, für ein Billiges schnell nach dem Sogne-Fjord hinunter zu kommen.“

„Ich selber werde Dich übersetzen,“ antwortete das Mädchen, – als ein solches glaubte Knut die kräftig gewachsene Gestalt in der unbestimmten Beleuchtung zu erkennen – „doch das eilt nicht. Magst Dich zuvor einige Tage im Hause des alten Saitenspielers ausruhen. Da – setze Dich an den Tisch! Wer am Strande herum hierher kommt, hat sich müde und hungrig gegangen. Ich will Dir ein Mahl bereiten. Auch Wachholderbranntwein hab’ ich noch, und der ist doppelt so viele Jahre alt, wie der Olaf todt ist, und wohl noch älter; er wird Deine Kräfte auffrischen. Der Olaf lobte einen guten, mäßigen Trunk, und deshalb hielt ich braunes Bier seitdem, um es einem Gaste vorsetzen zu können.“

Sie schürte das Feuer und legte dürre Reiser auf, daß die Flammen höher emporschlugen; die Flammen aber erhellten nicht nur das Gemach, sondern verdrängten auch den Rauch, der unter der geschwärzten Balkendecke hing und den Luftlöchern oberhalb der Thür träge zuschlich.

„Nielsen,“ sagte sie nach der anderen Seite des Gemaches hinüber, „geh’ und hole die drei beste Makrelen herein! Nimm von den heute geangelten! Die sind noch nicht gedörrt. Im Vorbeigehen pflücke etwas Lauch – wirst’s ja finden im Dunkeln – das bringe mir!“

Alsbald begann es sich in dem Winkel zu regen, und Knut bemerkte einen gekrümmten Mann mit auffallend langen Armen und wirrem weißem Haar, der unter einer grellfarbig gemusterten wollenen Decke hervorkroch. Der Alte warf ihm einen blöde lächelnden Blick zu und griff nach einem Krückstock; sich schwer stützend, hinkte er zur Thür hinaus.

„Ich nahm ihn zu mir, nachdem der Olaf das Zeitliche gesegnet,“ erklärte die Hausbesitzerin während sie in einer Schüssel Hafermehl mit etwas Ziegenmilch und Wasser zu einem Brei zusammenrührte, dabei aber jede Gelegenheit benutzte, unbemerkt einen Blick ängstlicher Spannung auf ihren Gast zu werfen, „ich that es aus Barmherzigkeit, aber auch, weil ich in der Einsamkeit das Reden nicht verlernen wollte. Nebenbei gebrauchte ich Jemand, der mir beim Fischen und Dörren hülfreiche Hand leistete. Sein Brod verdient er reichlich. Mag es mit seinen Füßen nicht ordentlich bestellt sein, in den Armen besitzt er dagegen große Kräfte. Im Boot arbeitet er für Drei.“

Knut antwortete nicht, und indem er bei der zunehmenden Helligkeit um sich sah, nahm sein ernstes Antlitz einen überaus schwermüthigen Ausdruck an. Er mochte sich fragen, ob in der That so viele Jahre verstrichen seien, seitdem er auf seinen Küstenfahrten den alten Olaf zum letzten Mal besuchte; denn Alles lag und stand noch wie damals. Tage schienen erst darüber hinweggegangen zu sein.

Die rauchgeschwärzten Wände und Tragebalken, von welchen an Drähten mehrere gedörrte, seltsam gestaltete Fische als eine Art Meerwunder niederhingen, hatten nicht die kleinste Wandlung erfahren. Da standen noch der mit phantastischen Schnitzereien verzierte Schrank und die alte Truhe mit den barocken Malereien, standen die schweren Holzschemel, stand der plump gezimmerte Tisch mit den Kreuzfüßen und der breiten Platte, und vor Allem das mit einer farbenreichen, wunderlich gemusterten Decke belegte Bett. Jedes einzelne Stück erkannte er wieder; wie ein alter Freund erschien ihm sogar der oberhalb des Herdes mit der Wand vereinigte rußige Drachenkopf mit dem langen Halse und der sägeförmig ausgezackten Mähne, welche dem Kessel als Träger diente und es ermöglichte, denselben, je nach Bedarf, höher oder niedriger über das Feuer zu hängen. Der greise Olaf – ach! der fehlte zwar, aber die Langeleike lag noch auf ihrer alten Stelle auf einem bunt geschnitzten Tragebrett.

Knut betrachtete das Mädchen, welches sich mit einer gewissen würdevollen Ruhe vor dem Herd einherbewegte und deren Gestalt in der unsteten röthlichen Beleuchtung eine wunderbar einheitliche Beziehung zu der düsteren Umgebung gewann. Jeder Griff der arbeitsgewohnten Hände, jeder Schritt schien genau berechnet zu sein, eine so eigenthümliche Sicherheit offenbarte sich in denselben. Sogar in der Art, wie der kräftige, straff bekleidete Oberkörper sich in den breiten Hüften wiegte, lag etwas wie männliches Selbstbewußtsein, oder vielmehr wie die Ueberzeugung, blindlings nur den jeweiligen eigenen Regungen folgen zu brauchen, um keinen Mißgriff zu begehen. Ihr Antlitz, welches die Bezeichnung einer gereiften Schönheit verdiente, kehrte sich meist dem Feuer zu. Knut sah daher nur wenig von demselben und das Wenige blos flüchtig. Dagegen fesselte seine Aufmerksamkeit das goldblonde Haar, welches, ganz gegen die Landessitte, in zwei schweren Flechten das stolzgetragene Haupt umschlang. Er meinte, ähnliches Haar schon früher gesehen zu haben. Wo, wo?

[374] „Es hat sich in den letzten zehn Jahren hier nichts geändert,“ brach er endlich das Schweigen, und zwar weniger, um seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen, als um dem Mädchen eine Art Höflichkeit zu erweisen, „Alles liegt und steht wie vor Zeiten; damals gab es zuweilen einen lustigen Abend hier, wenn ich mit einem Fäßchen Bier eingetroffen war und der alte Olaf sein Saitenspiel hervorholte. Die ganze Stube war voller Geister, wenn er sang. Alles bebte und webte: die Balken wie die Herdsteine und die vertrockneten Scheusale und Meerdrachen da oben an der Decke. Die ganze wilde Jagd sang er herbei, zumal wenn das Meer draußen siedete und kochte; dann ging es um’s Haus herum, wie mit zehntausend Gespenstergäulen.“

„Ja, der Olaf war ein großer Sänger,“ gab das Mädchen erzwungen gleichmüthig zu; „manche Nacht kosteten seine Gespensterlieder mich den Schlaf, bevor ich mich daran gewöhnt hatte. Jetzt hat der Nielsen die Sorge übernommen, daß die Langeleike nicht dumpf und faulig wird. Wenn ihm der Kopf darnach steht, spielt und singt er stundenlang. Ihm ist es eine Lust, zu dem Saitenspiel zu krächzen, wie ein Seerabe, und ich hör’s gern wegen des Gedächtnisses. Hab’ in jüngeren Jahren manches liebe Mal den Fuß zum Tanz gehoben, wenn der alte Olaf aufspielte,“ und verstohlen sandte sie einen heißen Blick zu dem vor sich auf den Tisch niederschauenden Gast hinüber.

„Hast wohl lange bei ihm gewohnt?“ forschte Knut gleichmüthig, um die Unterhaltung nicht wieder in’s Stocken gerathen zu lassen.

„An die acht, neun Jahre. Nicht eine Stunde gereut mich, die ich bei ihm verbrachte.“

„Da müßt Ihr gute Freunde gewesen sein?“

„Sehr gute Freunde! Wir hatten keine Geheimnisse vor einander.“

„Sprach er jemals zu Dir von einem gewissen Knut, als von Jemand, mit dem er auf einem freundschaftlichem Fuße gestanden, und der vor einer Reihe von Jahren außer Landes gegangen?“

Das Mädchen neigte sich tiefer über eine Pfanne, in welche sie den Haferteig legte und aus einander preßte. Erst nach längerem Zögern und als ob die Arbeit ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen habe, antwortete sie gedämpft:

„Von Allem sprach er, auch von dem Knut Knutsen.“

„Auch von der Ursache, die jenen von dannen trieb?“

„Auch davon.“

„Ich selber bin der Knut.“

„So?“ fiel es eintönig von des Mädchens Lippen.

„Ich gab ihm vor meiner Abreise einen Schlüssel,“ fuhr Knut in seiner ruhigen Weise fort, „einen Schlüssel und – nun – auch andere Dinge in Verwahrung; verlor er jemals ein Wort darüber?“

„Einen Schlüssel hinterließ er mir,“ antwortete das Mädchen. „Er sagte, der Eigenthümer würde selber kommen, ihn zurück zu fordern.“

„So glaubte er an meine Heimkehr?“

„Keinen Augenblick zweifelte er an ihr; es konnte nicht anders sein – Du mußtest ja kommen.“

In dem Ausdrucke, mit welchem sie sprach, offenbarte sich eine eigenthümliche Zuversicht, die Knut überraschte. Schärfer sah er zu ihr hinüber, doch vergaß er den Eindruck ebenso schnell wieder, als Nielsen herein hinkte; der alte Mann legte die bereits geschlitzten Fische, die er sorgfältig gewaschen und gesäubert hatte, sammt dem Lauch auf den Herd, deckte den Tisch vor Knut, stellte ein kleineres und ein größeres Glas vor den Teller und zündete endlich eine auf hölzernem Fuße befestigte Thranlampe an.

Knut, unablässig des verstorbenen alten Freundes gedenkend, beobachtete mit einer gewissen Theilnahmlosigkeit die beiden schweigsamen Gestalten. Obwohl für ihn beschäftigt, schienen dieselben seine Anwesenheit vergessen zu haben, und sogar als das Mädchen die Speisen für ihn auftrug, einen Krug Wachholderbranntwein und eine Kanne Bier neben die Gläser stellte, änderte sich nichts in ihrem ernsten, beinahe finsteren Wesen.

„Nun laß Dir’s schmecken,“ sagte sie; „daß Du Wachholder und Bier in einem Hause findest, in welchem sonst nur kühles Wasser aus den Felsspalten getrunken wird, mag Dir beweisen, wie zuversichtlich Du erwartet wurdest – seit Jahren.“

Knut sah flüchtig zu ihr auf. Sie hatte sich bereits abgekehrt und schritt wieder nach dem Feuerherd hinüber, von wo aus sie ihren Gast mit unverkennbarer Theilnahme beobachtete. Sein guter Appetit erfreute sie sichtbar. Einmal schien es sogar, als ob ihre großen, ernsten, blauen Augen einen feuchten Glanz erhielten, als ob es sich wie ein Zug der Enttäuschung um ihre vollen rothen Lippen lagerte. Doch schon nach einigen Secunden hatte sie die Haltung einer sorgsamen Aufwärterin zurückgewonnen.

Nielsen kauerte wieder in dem Winkel auf seine Decken und schaute vor sich auf die brennende, kurze Pfeife nieder. Und so vernahm man längere Zeit hindurch nichts als das leise Klirren von Gabel und Messer oder das Geräusch, mit welchem Knut das Bier aus der Kanne in sein Glas füllte. Gelegentlich rühmte er auch die Zubereitung der Speisen und meinte, daß es ihm seit Jahren nicht gemundet habe wie heute und daß er gerade jetzt recht wonnig empfinde, wieder in der Heimath zu sein.

„Ich bin sonst kein Schwelger,“ bemerkte er, indem er endlich den Teller zurückschob und nach seiner Tabakspfeife griff, um sie zu füllen, „ein Trunk Wasser, etwas Brod und eine Kleinigkeit dazu ist Alles, was ich zum Leben bedarf. Nicht zehn Schritte geh’ ich nach einem Leckerbissen. Aber um eine echt norwegisch zubereitete Makrele, einen Haferkuchen und eine Schüssel Moltebeeren, Gerichte, bei denen ich groß geworden, da reise ich meine tausend Meilen.“

Ueber des Mädchens ernstes Antlitz zuckle ein Blitz der Freude. Schweigend nahm sie das citherartige Instrument von dem Wandbrett, und es vor Nielsen auf eine leere Kiste legend, forderte sie ihn auf, zu spielen, um die Erinnerungen des Gastes noch mehr anzuregen. Auch nannte sie ihm einige Tänze, nach deren Tact sie in früheren Jahren sich im Reigen gedreht habe.

Während der alte Mann die Langeleike bedächtig stimmte und hin und wieder prüfend einen Accord anschlug, entfernte das Mädchen Teller und Speisereste. Das Tischtuch blieb, ebenso Krug, Kanne und Gläser. Dann nahm sie Knut gegenüber Platz, und als derselbe sie scharf ansah, rötheten ihre Wangen sich tiefer, und ängstlich schauten ihre Augen ihn an. Doch ebenso schnell trat die auflodernde Gluth zurück; matt senkten sich ihre Lider, und eine melancholische Melodie, welche Nielsen in diesem Augenblicke anstimmte, schien sie zu beruhigen; denn sie hob alsbald mit ihrem tiefen Organ an:

„Wenn Nielsen spielt, hört und sieht er nicht, was um ihn her vorgeht. Wir mögen mit einander reden, als ob wir uns allein hier befänden.“

Knut horchte hoch auf, ohne indessen seine Pfeife zu vernachlässigen. Er erwartete nähere Mittheilungen von dem verstorbenen Olaf, und schon schwebte eine darauf bezügliche Frage ihm auf den Lippen, als das Mädchen hastig fortfuhr:

„Vom siebenzehnten bis zum siebenundzwanzigsten Jahre ist ein langer Schritt. Da geht im Menschen eine große Veränderung vor sich – ich meine in seinem äußeren Ansehen. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn Du mich nicht wieder erkanntest.“

Noch immer blickte Knut forschend und zugleich zweifelnd in das schöne, ruhige Antlitz des Mädchens ihm gegenüber. Erinnerungen tauchten wohl in ihm auf, allein er wußte nicht, wohin sie zu bringen seien.

„Begegnet müssen wir uns im Leben sein,“ sprach er sinnend, „denn bekannt genug erscheinst Du mir, aber –“ er stockte und spähte schärfer in die Augen, in welchen es wie Thränen erglänzte, die aber sogleich wieder durch eine trotzige Bewegung geklärt wurden.

„So will ich Deinem Gedächtniß auf den richtigen Weg helfen,“ nahm das Mädchen schnell das Wort, „vergegenwärtige Dir die Nacht im Lyster-Fjord – Deine letzte war’s in diesem Lande – in welcher Du mit dem Jansen –“

„Engelid, so wahr mir Gott helfe!“ fiel Knut lebhaft ein, und er reichte ihr die Hand über den Tisch, zog sie aber nach einem kräftigen Druck gleichmüthig zurück; „ja, Engelid, jetzt erkenn’ ich Dich so gut, als wären wir gestern erst aus einander gegangen – aber Du hast Dich sehr verändert, und dann Deine Anwesenheit hier, so weit fort vom Lyster-Fjord, auf einer Schäreninsel – da ist’s nicht zum Erstaunen, wenn ich auf Dich sah, wie auf eine Fremde, zumal mit meinen Gedanken an den todten Olaf. Wirklich, Engelid, sehr verändert! Bist sogar noch gewachsen, und häßlicher bist Du am wenigsten geworden. Wer hätte geglaubt, daß ich Dir gerade hier noch einmal begegnen würde!“

Engelid’s Antlitz hatte bei diesen kalt-freundlichen Erklärungen einen sorgenvollen Ausdruck angenommen.

[375] „Und ich,“ hob sie an, „ich erkannte Dich am ersten Ton Deiner Stimme trotz der Dunkelheit. Freilich, Knut, weil’s der Olaf beschwor, daß Du eines Tages plötzlich vor mir hintreten würdest, hab’ ich auf Dich gewartet alle die langen Jahre. Wenn nur immer ich sah, daß Jemand in einem Boote sich der Insel näherte, meinte ich, Du müßtest es sein. Im Lyster-Fjord hättest auch Du mich erkannt – das weiß ich so genau, wie der Olaf wußte, daß Du heimkehren würdest. Und nach keinem anderen Orte der Welt konntest Du gehen, als gerade hierher, um Dein Eigenthum wieder an Dich zu nehmen.“

„So hast Du nicht geheirathet?“ fragte Knut wie beiläufig.

„Wen hätte ich heirathen mögen?“ erwiderte Engelid, und Knut, sorglos in seine Pfeife hinabschauend, gewahrte nicht, daß sie die Farbe wechselte.

„So hat’s nur an Dir gelegen?“ fragte er ruhig.

„An mir hat es wohl gelegen, Knut – was soll ich’s leugnen? Hier auf der Insel war ich sicher gegen Anträge. Es lag eine Art Gleichheit in unseren Schicksalen; denn ich wollte mir einen eigenen Herd nicht gründen, und Du konntest es nicht; bei Deinem Umherschweifen auf fernen Meeren und bei dem Gedanken an Deine Heimathlosigkeit war es Dir unmöglich, Dich viel um irgend ein Mädchen zu kümmern. Außerdem trugst Du Dich mit dem Bewußtsein, einen Menschen erstochen zu haben – und doch könnte der Jansen seiner Wunde wegen heute noch leben –“

„Ich hörte davon,“ fiel Knut gelassen ein, „und ich gesteh’s, das Herz ist mir seitdem leichter geworden. Ich möchte sonst wohl ganz fortgeblieben sein, um nicht daheim alle Tage an die Blutschuld erinnert zu werden.“

Engelid betrachtete sein gesenktes Antlitz einige Secunden starr, und mit regerem Eifer fuhr sie dann fort:

„Dein Schicksal hat mich schwer bedrückt alle die langen Jahre hindurch, und darum mied ich den Verkehr mit anderen Menschen. Wenn sie mich ansahen, glaubte ich in ihren Augen einen Vorwurf zu lesen, weil ich Dein Unglück verschuldete. Ich war damals ein junges, einfältiges Ding, und die schönen Worte, welche Du beim Tanz zu mir sprachst, o, die waren mir tief in’s Herz gedrungen, und hätte des Jansen Messer Dich tödtlich getroffen, so hätte ich mich vom nächsten Felsen hinabgestürzt, um neben Dir begraben zu werden, Knut. Ich wiederhol’s, ich gab die Ursache zum Streit, und hätten die Leute mich nicht zurückgedrängt, so wäre ich, als sie Dich mit dem Jansen zusammenschnallten, an Deine Seite geeilt, um jeden für Dich bestimmten Stoß auf die eigene Brust zu leiten. Daß ich Dir eine Sühne schuldig sei, dieser Gedanke hat mich nicht verlassen bis auf den heutigen Tag. Und nun? Was mir Nachts in meinen Träumen kund geworden, was der alte Olaf mir in seinen wilden Liedern gesungen, nun ist es Wahrheit geworden: Du bist heimgekehrt, und ich mag die Bürde von meiner Seele wälzen, ich mag zu Dir sprechen: Knut, um meinetwillen bist Du so viele lange Jahre in der Welt umhergeirrt; um meinetwillen hast Du unter dem Bewußtsein eines Mordes Dich so lange gewunden – nun verzeihe mir um des Leids willen, welches ich selber ebenso lange erduldete! Ja, Knut, ich wußte, wie Alles kommen würde; ich hätte es gewußt, ohne daß der Olaf es mir prophezeite. Und der war ein weiser Mann; der kannte viele Geheimnisse, war klüger, als andere Menschen; denn er hatte als Kind von seiner Aeltermutter Runenzeichen kennen gelernt. Um Dich herbeizurufen und Dir den Weg zu zeigen, schnitzte er einen Zauberreim in den Balken oberhalb der Thür. Ja, blick’ hinüber! Du kannst ihn heute noch sehen, schwarz, wie er allmählich vom Rauche geworden. Da steht’s mit Zeichen geschrieben, die kein Anderer mehr deutet: ‚Willkommen, Knut! Durch diese Thür sollst Du einziehen zu Deinem Glücke.‘ Statt des todten Olaf ruf’ ich Dir nun zu, wie er mir’s vorschrieb: Willkommen, Knut, tausendmal willkommen! So oft willkommen, wie Sterne in klaren Winternächten am Himmel stehen, so oft willkommen, wie das Meer im Sturme Schaumperlen abwirft!“

Sie sprach es mit dem vollen Tone der Leidenschaft; hastig ergriff sie seine Hand und blickte ihm in die Augen, so innig, so liebevoll und doch so bange; ihre Wangen rötheten sich tief vor Freude und heimlicher Angst, als ob sie von seinen Lippen eine endgültige Entscheidung zwischen namenlosem Glücke und jähem Tode erwartete.

Wie ein Schlaftrunkener hatte Knut seine Hand in die Engelid’s gelegt. Er wagte nicht, wie zuvor, sie sogleich wieder zurückzuziehen. Räthselhaft, dunkel war ihm der Sinn von dem, was er gehört. Der Zeiten, deren Engelid erwähnte, entsann er sich zwar, nicht minder aller zwischen ihnen gewechselten Worte, aber sie hatten ihm nicht mehr gegolten, als harmloses Geplauder, wie es sich uns wohl auf die Lippen drängt, wenn Musik und Tanz uns das Blut schneller kreisen machen. Und was er damals – vor langen Jahren – so obenhin gesprochen, das hatte sie so tief genommen und bis heute treu gehegt? Ihr Glück hatte sie verscherzt um seinetwillen, sie, die da geschaffen war, Licht um sich zu verbreiten, wo sie nur erschien? Mitleid mit ihrem Schicksale beschlich ihn. Und wie schön war sie heute noch, heute, da ihre Reize voll erblüht waren! Wie rührend stand ihr das ernste, zuversichtliche Wesen!

Schweigend, aber noch immer Hand in Hand, saßen die beiden Jugendgefährten einander gegenüber, Engelid mit tödtlicher Spannung, Knut mit sich zu Rathe gehend, was er am besten antworten werde. Grübelnd starrte er vor sich auf den Tisch, aber er fühlte, wie die Blicke aus den großen blauen Augen mit Seelenangst an seinen Lippen hingen.

Noch immer erklangen die wild melancholischen Weisen des alten Nielsen. Es war etwas Geisterhaftes in den sich seltsam an einander reihenden Molltönen. Sie standen im Einklange mit der äußeren Erscheinung des langarmigen gnomenhaften Spielers, mit der düsteren Umgebung, auch wohl mit den Gedanken, welche die beiden stillen Gestalten an dem Tische beseelten.

Trübe schwälte die Lampe. Die letzten Reiser über der Herdgluth flackerten noch, und mit ihnen flackerten und tanzten sonderbare, unförmliche Schatten an den Wänden, die Umrisse der alten Möbel und Geräthe des Gemachs. Der Drachenkopf mit dem gemähnten Halse glühte in der rothen Beleuchtung. Die Schnitzereien an den Möbeln wanden sich durch einander; es grinsten und schielten die von den geschwärzten Balken niederhängenden Ungethüme mit den gespreizten Flossen, den breiten Mäulern und den stacheligen Bartfäden, als wollten sie sich, des sie umschwebenden ätzenden Rauches überdrüssig, mit Gewalt von den Drähten losreißen, an denen sie hafteten.

Endlich sah Knut wieder empor; er blickte in die regungslos auf ihm ruhenden Augen Engelid’s. Es drängte sich ihm die Empfindung auf, er werde von dem Mädchen als unveräußerliches Eigenthum betrachtet; das kränkte sein Selbstbewußtsein, und zugleich erwachte in ihm ein Gefühl des Verdrusses. Mit einer Bewegung des Gleichmuthes zog er seine Hand aus der Engelid’s, und dann sagte er ruhig, jedoch nicht unfreundlich:

„Es klingt gar wundersam, was Du mir da erzählst, Engelid, wundersam, daß ich’s nicht begreife. Wie mochtest Du leichtfertigen Worten, die auf dem Tanzplatze, wenn die Köpfe brennen, zu Dutzenden fallen, so großen Werth beimessen –?“

„Knut!“ rang es sich von Engelid’s bebenden Lippen. „Deine Worte, so innig, so heiß – und gleich darauf Dich mit dem Jansen zusammengeschnallt zu sehen, in den Händen die Messer, in den Augen wilde Feindschaft, und dies Alles um meinetwillen – das gab meinem Herzen einen Stoß: ich trug die Schuld an Deinem Schicksal – ich! O, ich meinte, nie wieder froh werden zu können – und ich bin’s auch nicht mehr geworden.“

„Engelid,“ nahm Knut, die Brauen runzelnd, wieder das Wort, „spiele nicht länger mit Trugbildern aus Deinen Kinderjahren! Und wenn’s bisher geschah, so ist’s am wenigsten meine Schuld. Denn Dir mit Liebesschwüren die Ruhe zu verkümmern, kam mir nie in den Sinn –“

„Nein, nein, Knut, das weiß ich,“ warf Engelid unsäglich herbe ein.

„Und Schuld an meinem Schicksal,“ fuhr er fort, „trägst Du auch nicht, Engelid. Der Jansen hatte mich beleidigt, nicht Dich. Hätte er meinen Stuhl fortgenommen oder mit Willen mein Bier umgestoßen, wär’s nicht anders gekommen, als nachdem er die Hand an meinen Tanzpartner gelegt. Also sei vernünftig und rede nicht von einer Gewissenslast, von der ich nichts weiß, auch nicht von Sühne oder Verzeihung!“

„Armer Knut,“ versetzte Engelid weich, „wie hast Du doch Alles vergessen! Aber es konnte nicht anders sein; denn zehn Jahre lang bist Du mit der vermeintlichen Blutschuld auf dem Gewissen in der Welt umhergeirrt. Die Heimath mit Allem, was Du hier zurückließest, lag Dir so fern, daß Du sie kaum noch mit [376] den Gedanken erreichtest, und da ist’s nicht zum Erstaunen, wenn Manches Deinem Gedächtniß entfiel. Vielleicht streichest Du es auch mit Gewalt aus, um Ruhe zu finden. Daraus macht Dir Niemand ein Arg; Du handeltest sogar klug. Aber hättest Du gelebt wie ich, wärest Du mit Deinen Gedanken so viele Jahre allein gewesen, so möchte es Dir verständlicher sein, daß Dein Unglück an meinem Gewissen nagte. Du bist eben ein wenig verhärtet – das höre ich an Deiner Stimme, und jetzt, da Du weißt, daß kein Blut an Deinen Händen klebt, wird Dir’s schwer, Dich schnell wieder zu ändern; zu lange Zeit ist darüber hingegangen. Doch es wird kommen, Knut, ja es muß kommen über kurz oder lang, daß Du wieder lachst, wie ehedem, auch wohl Jemand findest,“ und ihre Stimme wurde unsicherer, „der Dich liebt und verehrt; Dein Herz wird erwachen wie die Birken drüben in unseren Thälern, wenn nach dem langen kalten Winter die Sommersonne ihr Licht entfaltet.“

„Engelid,“ unterbrach Knut sie mit einer Geberde der Ungeduld, „wenn Du meiner freundlich gedachtest alle die langen Jahre, so danke ich Dir’s. Aber das Andere laß’ bei Seite! Mich sollte Jemand lieben und verehren, meinst Du? Was Du in diese Worte legst, errath’ ich so halb und halb, und da gestehe ich, damit Du’s auch Anderen sagen magst: So wenig ich damals daran dachte, mich nach einer Frau umzusehen, ebenso wenig denke ich heute daran. Mußte ich nicht außer Landes, möcht’s vielleicht anders gekommen sein; jetzt hingegen paß’ ich zum Ehestand wie der alte Spielmann dort. Der Gedanke daran ist mir schon ein Gräuel. Aber Du, wahrhaftig, Du hättest einen Mann nehmen sollen.“

„Was Du sprichst, Knut, klingt hart, sogar feindselig, aber kränken kann es mich nimmermehr,“ sagte Engelid ruhig. „Suchte ich die Einsamkeit und wollte keines Mannes Weib werden, so ist das meine Sache. Sollte ich mich Jemand zu eigen geben, der mir zuwider, Jemand dienen und ihm unterthan sein, der mir so gleichgültig, wie die Nebelwolken, die um unsere Berge hängen? Da war ein Corporal, ein Sohn guter Leute im Gulbrandsdal, der warb um meine Hand in rechtschaffener Weise, doch ich wies ihn ab, weil ich – nun – weil ich meinte, wir gehörten nicht zusammen. Der ist denn fortgegangen – Gott weiß wohin. Dann kam Ornesen, der Müller aus dem Lärdal – Du mußt ihn noch im Gedächtniß haben – ein reicher älterer Mann, ein Wittwer. Der meinte es ebenfalls ehrlich und bot mir an, daß ich seine Frau werden solle, aber auch ihn schlug ich aus. Hätte mein Leben auf dem Spiel gestanden, ich wäre nicht zu ihm gegangen. Mich für Geld und Gut verkaufen –.“

Engelid schwieg; zwei schwere Thränen rollten über ihre Wangen. [389] „Doch was reden wir von solchen Dingen, anstatt uns des Wiedersehens zu erfreuen?“ nahm Engelid wieder das Wort. „Du bist heimgekehrt und hast die Bürde von meinem Gewissen genommen, können aber verlorene Jahre nicht zurückgerufen werden, so mögen wir doch Beide jetzt ohne peinliche Gedanken in die Zukunft schauen. Bleib’ unter des alten Olaf’s Dach, so lange es Dir gefällt! Er vererbte es ja auf mich unter der Bedingung, Dich ordentlich aufzunehmen und zu beherbergen. Willst Du aber von dannen, so sag’s, und ich bringe Dich in meinem eigenen Boot – und das ist ein flinker Segler – bis in den Lyster-Fjord hinein. Dort will ich Dir Dein Haus öffnen, will Dir Alles übergeben, was der alte Olaf meinen Händen für Dich anvertraute.“

„Das ist ein verständiges Wort, Engelid,“ versetzte Knut erleichterten Herzens, und zum Zeichen seiner Anerkennung reichte er dem Mädchen wiederum beide Hände; „habe ich, ohne es zu wollen, Dir weh gethan oder an Dir gesündigt, so mag’s zwischen uns begraben sein! Denn ein Mann von meinen Erfahrungen, dessen Leben durch Mancherlei verbittert wurde, der so lange in der Fremde unter Fremden lebte, der muß sogar in der Heimath, wo so Vieles anders geworden, sich fremd fühlen. Bin eben ein mürrischer Kerl geworden, Engelid; gute Freunde können wir indessen trotzdem immer noch bleiben, und da Du mich selber nach dem Lyster-Fjord segeln willst, nehme ich’s mit Dank an und sage: sobald wie möglich! Wirst Dir’s vorstellen, wie es mich treibt, endlich wieder einmal in meinem eigenen Heimwesen zu schlafen, unter dem Dache, unter welchem meine Eltern lebten und starben, nachdem sie mich kaum so weit gebracht hatten, daß ich mir mein Brod selber verdienen konnte.“

„Sobald wie möglich,“ wiederholte Engelid träumerisch, „wir können morgen aufbrechen. Einen sicheren Weg, auf welchem die schweren Meeresdünungen uns nicht finden, kennen wir Beide, und Orte, wo wir Abends anlaufen mögen, um zu rasten, ebenfalls. Wir mögen auch die Nächte zu Hülfe nehmen – die sind hell genug – und uns gegenseitig am Steuer ablösen.

Ohne eine Erwiderung abzuwarten, erhob sie sich, und in ihrer stillen, zuversichtlichen Weise begann sie am Herd die benutzten Gefäße zu säubern und auf den Tragbrettern zu ordnen. Zur besseren Beleuchtung hatte sie einen Kienspan angezündet und seitwärts von dem Drachenkopf befestigt, wogegen Knut mechanisch den Docht der Lampe etwas weiter hervorzog. Nielsen ließ unterdessen seine harten Finger unermüdlich auf der Langeleike herumtanzen. Nur einmal trat eine kurze Pause ein, als Engelid ihn aufforderte, mit den schwermüthigen Melodien ein Ende zu machen und dafür seine lustigsten Tänze aufzuspielen, wie es sich gezieme, wenn gute Freunde nach langer Trennung zum ersten Mal einander begegneten.

Und Nielsen leistete Folge. Schneller und schneller wurde der Tact, in welchem er die Saiten rührte, und tiefer neigte er sich über das Instrument in seinem Eifer, das Wiedersehen zu feiern. Doch weder Engelid noch Knut achteten auf ihn. Erstere beschäftigte sich mit ihren häuslichen Obliegenheiten, als befände sie sich allein in dem Gemach, Knut aber stützte den Kopf auf den Arm und beobachtete grübelnd die seiner Pfeife entwirbelnden Wölkchen. Allmählich kehrte er indessen seine Aufmerksamkeit Engelid wieder zu. Mit einer gewissen Theilnahme überwachte er, wie ihre kräftige Gestalt so sicher und doch so geräuschlos sich einher bewegte, ihre Hände Alles so leicht anfaßten, als wären sie aus dem der Feuerstelle entsteigenden Rauch gewebt. Eine gewisse Scheu bemächtigte sich seiner, so oft ihre Blicke kalt und theilnahmlos zu ihm hinüberglitten; er blickte dann immer in eine andere Richtung, um ihnen nicht zu begegnen. Unwillkürlich vergegenwärtigte er sich bei den lustigen Tanzmelodien die junge Engelid, wie er sie in jener verhängnißvollen Nacht an sich zog und ihr heimlich manch süßes Wort zuraunte. Er sah sie im Geiste seinem Flüstern lauschen; er sah das ungestüme Blut ihre Wangen dunkler färben, ihre großen unschuldigen blauen Augen funkeln und leuchten. Und weiter vergegenwärtigte er sich, wie ihm selbst das Blut damals so heiß durch die Adern wallte, daß er mit wilder Lust auf den blutigen Kampf einging. Ein wie ganz Anderer war er heute! Und sie, die Engelid! Er verglich das Mädchen von damals mit dem von heute. Schöner war Engelid noch geworden und gereifter, aber auch so viel ernster, so ernst, daß es ihn unheimlich anwehte und er die Nachtruhe herbeiwünschte, um das Mädchen nicht mehr vor sich zu sehen. Gern hätte er sie noch über Dieses oder Jenes aus den alten Zeiten befragt, allein auf Engelid’s Antlitz ruhte es, als ob ihr jedes fernere kleinste Wort zu viel gewesen wäre, die eigene Stimme wie jede fremde sie angewidert habe.

Als sie endlich das Bett mit frischen Linnen versah und die Decken ordnete, da wagte er nicht einmal, sich nach dem Zweck ihres Thuns zu erkundigen und vorzubeugen, daß sie ihr eigenes Lager an ihn abtrat, um selbst in einem anderen Winkel der Hütte ihr Unterkommen zu suchen.

Die Nacht war weit vorgeschritten, als Engelid Nielsen rieth, sein Spiel einzustellen und sich zur Ruhe zu begeben. Erst nachdem [390] derselbe auf einer Leiter mühsam den niedrigen Bodenraum erstiegen hatte, um dort sein Lager aufzusuchen, kehrte sie sich Knut noch einmal zu.

„Ich wünsche Dir eine gute Nacht,“ sprach sie mit warmer Herzlichkeit, und unbefangen reichte sie ihm die Hand, „mögest Du hier nicht schlechter schlafen, als im Lyster-Fjord an Deinem eigenen Herd!“

„Ich danke Dir,“ antwortete Knut, ihre Hand ein wenig länger haltend, „dann aber wünsche ich, daß morgen früh unser heutiges Gespräch Dir als ein Traum erscheine,“ und noch bevor Engelid etwas zu erwidern vermochte, fragte er, wo er die Nacht verbringen solle.

Sie wies auf das Bett.

„Mein Lager ist dort in der Kammer,“ erklärte sie, nach einem engen Nebenraum hinüberweisend, „hier hat Olaf sein Leben lang geschlafen, und sein Wille war es, daß bei Deiner Heimkehr Dir der Ehrenplatz im Hause eingeräumt werde. Du hast mir für nichts zu danken; ich erfülle nur meine Pflicht, und noch einmal: Gute Nacht!“

Sie kehrte sich ab und verschwand durch die Kammerthür, welche sie leise hinter sich schloß.

Auf dem Tisch brannte noch die Lampe, und bei ihrem Scheine wandelte Knut einige Male auf und ab. Wie ganz anders hatte er sich seinen ersten Besuch in der bekannten Schärenhütte vorgestellt! Der alte Olaf, der ihm die düsteren Grübeleien fortspielen und -singen sollte, war todt, und die er an seine Stelle setzte, war am wenigsten geeignet, ihm die Heimkehr in eine freudige umzuwandeln.

Es gab wohl eine Zeit, in welcher er für einen Blick aus ihren lachenden Augen wer weiß was hingegeben hätte – allein wo lagen jene Zeiten! Damals war sie ein lustiges Kind, er selbst ein leichtfertiger, sorgloser Bursche. Heute dagegen flößte sie ihm mit ihrem Ernst, mit ihrer stolzen Haltung und der zuversichtlichen Art ihrer Reden eine gewisse Scheu ein, während es in seinem eigenen Inneren aussah, wie in einem auf den heimathlichen Klippen gestrandeten Wrack.

Er wurde des Grübelns überdrüssig. Im Gefühl bitterer Unzufriedenheit mit sich selbst und derjenigen, die seinem Brüten so viel neue Nahrung bot, löschte er die Lampe aus und warf sich unentkleidet auf das Lager. Er wollte ihr nicht die Genugthuung gönnen, ihn sanft gebettet zu haben. Sie sollte am Morgen sehen, daß eine bequeme Stätte ihm nicht lieber gewesen, als der nackte Fußboden; sie sollte nicht wähnen, ihm eine Wohlthat erwiesen zu haben. Mit einem letzten Gedanken an sie schlief er ein, mit einem Gedanken, in welchem Mitleid, Scheu und Zorn sich einten. Aber sogar im Traume ließ sie ihm keine Ruhe. Vor sich sah er sie wieder als jugendliche Tänzerin, deren lachende Augen so glühend die seinigen suchten, daß es ihm fast die Vernunft raubte. Und alle Schrecken jener verhängnißvollen Nacht durchlebte er noch einmal; noch einmal empfand er die ganze Wärme, welche das frische, zutrauliche Kind in seiner Brust entzündete. Jedes einzelne Wort, welches er damals jubelnd zu ihr sprach, wiederholte er, und viele neue fügte er hinzu, gleichbedeutend mit Schwüren ewiger Liebe und Treue, bis sie endlich, wie von seinem heißen Athem versengt und vergiftet, dahin sank und in einen schwarzen Schatten zerfloß.

Doch aus dem Schatten tauchte sie wieder empor, um manches Jahr gealtert, gereift an Schönheit wie an Geist, und so kalt und streng, daß ihm vor ihr graute. Unheimlich war sie anzusehen, unheimlich wie ein Todtenbild, als sie vor ihm hinschwebte, in der einen Hand ein düster brennendes Lämpchen, die andere auf die Brust gelegt, wie er in fernen Landen an Madonnenbildern beobachtet hatte, in deren Herzen der Schwerter dreie steckten.

Er wollte sie anreden, sie fortweisen, allein seine Zunge war gelähmt; erstarrt waren seine Glieder. Sie aber sah auf ihn nieder, als hätte sie in ein offenes Grab geschaut, in welches ihr Liebstes oder sie selbst gebettet werden sollte. Thränen rannen über ihre Wangen; aus ihren großen Augen leuchtete es dann wieder wie Blitze, welche Sommers am fernen Abendhimmel zucken, jedoch nicht so bedrohlich, sondern mild wie das Nordlicht in langen Winternächten, bei dessen Schein er unzählige Mal seinen Schlitten über Eisflächen und festgefrorenen Schnee getrieben hatte.

Da neigte sie sich zu ihm nieder; ihre Lippen öffneten sich. Seine Brust schnürte sich zusammen – so angestrengt lauschte er.

„Ich hab’ auf Dich gewartet Jahr um Jahr,“ drang es wie ein Hauch zu seinen Ohren, „und nun, da Du gekommen bist, muß ich von Dir scheiden auf ewig.“

Sie küßte ihn; warm fühlte er ihre Lippen auf den seinigen. Er breitete die Arme nach ihr aus, ob sie nach sich zu ziehen oder sie von sich abzuwehren – er wußte es selbst nicht. Mit einer gewaltigen Anstrengung ermunterte er sich. Er schlug die Augen auf. Um ihn her war es dunkel. Nur auf dem Herd glimmten noch einige Kohlen geheimnißvoll. Einen Luftzug fühlte er über sich hinwehen, als wäre eine Thür geöffnet und wieder geschlossen worden, und ein eigenthümlicher Duft, wie wenn eine schwälende Lampe ausgelöscht worden, umschwebte ihn.

Befremdet spähte er um sich. Alles blieb still, wie in einem Grabe. Eine Weile starrte er in’s Dunkle, bevor er wieder einschlief. Der Bann aber schien gebrochen zu sein; für Träume war er nicht mehr zugänglich. –

Als Engelid ihn folgenden Morgens fragte, wie er geschlafen habe, und ihn dabei unbefangen ansah, als wäre ihr Gespräch mit ihm in der That nur ein Traum gewesen, da hätte er nicht um die Welt etwas von seinen nächtlichen Visionen verrathen.

„Besser und sanfter schlief ich, denn je zuvor in meinem Leben,“ antwortete er, „nur zu warm war’s mir auf den wollenen Decken. Ich hätte am liebsten auf dem nackten Fußboden gelegen.“

Da sah Engelid in eine andere Richtung, um zu verheimlichen, wie es um ihre Lippen zuckte, zu verheimlichen, daß sie seine Gedanken errieth. Mit freundlicher Ruhe meinte sie, daß er sich wohl gekräftigt genug fühlen möchte, die Reise nach dem Lyster-Fjord anzutreten.

Knut lachte geräuschvoll. Es sollte ein Ausbruch sorgloser Heiterkeit sein, und doch klang es so eigenthümlich herbe, sogar gehässig.

„Wer hörte je, daß ich der Kräftigung benöthigte?“ rief er aus, „je eher wir auf’s Wasser kommen, um so lieber ist’s mir. Seit der alte Olaf todt, hat dieses Schäreneiland keinen Zauber mehr für mich“ – er lachte wiederum, und dann sagte er in versöhnlicherem Tone zu dem vor dem Herde beschäftigten Mädchen:

„Du siehst, wie ich es in den langen Jahren verlernte, ordentlich schön zu thun.“

„Es wird Dir wieder geläufig werden in Deinem eigenen Hause,“ antwortete Engelid so gleichmüthig, daß es Knut schier verdroß, seine Absicht, sie zum Zorn zu bringen, von keinem Erfolg begleitet zu sehen. „Wird Dir aber das Haus zu enge, was hindert Dich, hinauszuziehen in die Welt und gänzlich zu vergessen, daß Du ein Norweger?“

„Dazu gehört nicht viel mehr als ein guter Wille,“ erwiderte Knut leidenschaftlich, lenkte indessen sogleich begütigend ein, „und Brod wird überall gebacken, wenn’s mir im Lyster-Fjord nicht schmecken sollte.“

Darauf gingen sie an die Arbeit, sich zur Fahrt zu rüsten, wobei Nielsen mit seinen Riesenarmen ihnen kräftig Beistand leistete. Als sie den Mast aufrichteten und das Segel der frischen Morgenbrise preisgaben, da rief Engelid dem alten Spieler scheidend zu:

„Bleibe ich eine Woche länger fort, so sorge nicht um mich! Hab’ Mancherlei zu thun da unten. Auch will ich mir die bekannten Berge wieder einmal betrachten. Ich meine, sie müßten über einander stürzen, weil ich sie so lange nicht besuchte.“

Nielsen neigte billigend das Haupt und ließ sich auf einem Felsblock nieder. Die beiden Robben gesellten sich zu ihm. Gleich ihm starrten sie auf das Kielwasser, welches sich hinter dem enteilenden Boote als glatter Streifen auf dem gekräuselten Wasserspiegel abzeichnete.

Die Sonne war bereits eine kurze Strecke über die östlichen, gletschergekrönten Gebirgszüge hinabgestiegen. Golden strahlte sie vom blauen Himmel nieder, wie um den beiden einsamen Reisenden ein gutes Zeichen zu gewähren. Diese saßen im Hintertheil des Bootes Seite an Seite. Sie sprachen zu einander wie zwei Menschen, die sich Einer in des Anderen Gesellschaft nicht behaglich fühlen und es doch verheimlichen möchten.




[391]
3.

Der Lyster-Fjord, ein Nebenarm des gewaltigen Sogne-Fjords, welcher tief und in vielen Krümmungen in das gigantische norwegische Plateau einschneidet, erscheint wie eine Spalte, welche sich durch die Erdrinde hindurchsenkt. Mehrere tausend Fuß hoch thürmen die senkrechten Felsenmauern sich oberhalb des Wasserspiegels über einander, den Eindruck erzeugend, als ob ihre Grundpfeiler meilentief unter den stillen Fluthen verborgen lägen. Dunkle Tannen, untermischt mit lichtgrünen Zwergbirken, streben aus den Felsenritzen empor und verleihen dem düster gefärbten Gestein einen melancholischen Schmuck.

Der Eindruck des Unergründlichen der verhältnißmäßig schmalen Wasserstraße wird noch erhöht durch die wunderbar klaren Spiegelbilder der schroffen Uferwände, über welchen sich unten in der endlosen Tiefe des Wasserabgrundes dann wieder der Himmel zu wölben scheint. In einem Boot darüber hinfahrend möchte man wähnen, in einem Chaos wild zerklüfteter Gebirgsmassen frei in der Luft zu schweben. Zwischen den mächtig emporstrebenden Felsmauern erscheint die Wasserstraße um so enger, und der Schiffer hat das beklemmende Gefühl, als drohten die in schwindelnder Höhe sich einander zuneigenden gewaltigen Steinwände durch die erste Erschütterung das Gleichgewicht zu verlieren.

Wo aber Seitenspalten sich öffnen, da lugen in ewigen Schnee und Eis gekleidete Berggipfel in den versteckten Winkel herein. Hoch oben glänzender Sonnenschein, der die bläulichen Felszinnen vergoldet und barocke Lichtbilder auf den in seinem Bereich befindlichen Wänden zeichnet; unten dagegen kühler, zu einer Art Zwielicht hinneigender Schatten!

Eine eigene, starre und doch erhabene, sogar beängstigende Welt! Starr und doch nicht leblos! Denn von oben, von den über dreitausend Fuß hohen Plateaurändern kommt es beweglich herunter, bald wie Silberfäden, die im Niedersinken zu Sturzbächen anwachsen, bald wie zarte, durch den Luftzug hin und her gewehte Seidengespinnste, zu welchen das Wasser im freien Sturz zerstäubt, um sich demnächst auf Vorsprüngen wieder zu sammeln und als tosender Bach seinen Weg abwärts fortzusetzen.

So trägt Alles in dem Lyster-Fjord den Charakter des Bizarren, Wilden, Majestätischen und Bedrohlichen. Und doch leben Menschen dort – hier auf schmalem Uferrande in langgestreckten Dörfern, deren Häuser, sinnig gestützt, häufig über den Rand der sie tragenden Felsen hinaus ragen, dort in vereinzelten Hütten und kleinen Gehöften, je nachdem Abflachungen es ermöglichen, dem ängstlich gehüteten, oft mühsam herbeigeschafften feuchten Erdreiche einigen Ertrag zu entwinden.

In einem dieser abgelegenen steinernen Häuschen, welches seit einer Reihe von Jahren verschlossen und vereinsamt geblieben, regte sich an einem frischen Sommermorgen plötzlich wieder Leben. Fensterladen und Fenster standen offen, ebenso die Hausthür, und über das feste Dach hinaus entstieg sogar eine schmale Rauchsäule dem kleinen Schornsteine.

In dem nahen Dorfe hatte sich unterdessen die Kunde verbreitet, daß Knut Knutsen endlich wieder eingetroffen sei, und zwar in Begleitung der schönen Engelid, die noch in Aller guter Erinnerung lebte. Man hatte sie in der Frühe bemerkt, als sie vorüberruderten. Wer es noch bezweifelte, der brauchte nur auf einen der zahlreichen Ufervorsprünge zu treten, um sich zu überzeugen, daß Knut’s Haus belebt war und vor demselben ein Segelboot mit umgelegtem Maste angekettet lag. Hinzuzugehen und sich nach den näheren Umständen zu erkundigen, mochte indessen Keiner für angemessen halten. Aber in Vermuthungen und mancherlei Bemerkungen erging man sich, die indessen alle mit einander mehr oder minder für eine freundliche Theilnahme zeugten, welche man den fast verschollenen und jetzt so plötzlich und geheimnißvoll erschienenen beiden Kindern des Lyster-Fjords zollte.

Die Einen meinten, es sei ein Jammer, daß Knut in dem Wahne, Jemand getödtet zu haben, entflohen sei, statt als ordentlicher und geachteter Nachbar auf seiner Scholle zu sitzen. Andere entschieden sich dafür, daß Engelid seine Frau und es daher klar sei, weshalb sie den reichen Müller im Lärdal verschmähte; wogegen wieder Andere zweifelnd äußerten, daß unter solchen Verhältnissen Knut, von seiner Frau selbstverständlich über Alles unterrichtet, mit seiner Heimkehr schwerlich bis jetzt gesäumt haben würde. Wunderbar erschien es freilich Allen, daß Beide zugleich eingetroffen waren, also dennoch irgend welche Beziehungen zwischen ihnen walten mußten.

Knut war bald nach Tagesanbruch mit Engelid gelandet. Schweigend hatten sie das Haus betreten. Dort begab Engelid sich in den mit einem schmalen Vorflure vereinigten Küchenraum, um von den mitgebrachten Vorräthen ein Mahl zu bereiten, Knut aber hatte sich im Wohnzimmer vor den alten zeitgebräunten Tisch gesetzt und war in Gedanken an die Vergangenheit versunken.

Tiefe Wehmuth erfüllte ihn, aber freundlich berührte es ihn zugleich, sein Eigenthum so viel anders, so viel besser erhalten gefunden zu haben, als er ursprünglich erwartet hatte. Ueberall verrieth sich eine gewisse Ordnung und Sauberkeit, was ihn nach des Schiffers Olsen Mittheilungen zwar kaum noch befremdete. Daß aber streng duftende getrocknete Kräuter in Fülle über die wollene Bettdecke gestreut worden, zerschnittene Binsen, wenn auch gebleicht und zusammengeschrumpft, den Fußboden bedeckten, als hätte es dem Empfange eines freudig erwarteten Gastes gegolten, das war mehr, als er der Ueberlegung des von dem verstorbenen Olaf gelegentlich entsendeten Burschen zugetraut hätte. Im Stillen dankte er dem Todten herzlich, an Engelid aber und daran, daß sie nach dem Tode des alten Olaf in dessen Sinne weiter waltete, dachte er natürlich nicht.

Wohl eine halbe Stunde hatte er gedankenvoll dagesessen; Engelid schien mit Bedacht zu säumen, um ihn in seinen Grübeleien nicht zu stören, und als sie endlich den Tisch deckte und die Speisen auftrug, da verkehrten die Zwei einsilbig wie bisher mit einander. Erst nachdem das Mädchen die alte Ordnung wieder hergestellt, begann sie in geschäftsmäßigem Tone:

„Knut, Du fragst nicht nach Diesem oder Jenem, als sei Dir Alles einerlei; da muß ich selber den Anfang damit machen. Liegt Dir nichts daran, so hebt’s doch die letzte Verantwortlichkeit für Dein Eigenthum von meinen Schultern. Ich will nämlich hören, ob Du mit der Sorgfalt des alten Olaf und mit der meinigen zufrieden bist. Wir richteten Alles ein, wie’s bei der großen Entfernung nur möglich gewesen. Ist Manches nicht so, wie Du’s erwartetest –“

„Ueber Erwarten gut finde ich Alles erhalten,“ fiel Knut mit einiger Lebhaftigkeit ein. „Lägen hier Staub und Spinngeweben schuhhoch, es hätte mich nicht erstaunt. Im Gegentheil, es wundert mich, daß ich meinen Weg hereinkam, ohne über Schutt und Trümmer zu stolpern.“

„Nun, Knut, da der Olaf sich für verpflichtet hielt, mich von Zeit zu Zeit hierher zu senden – ihm selbst waren ja die Kräfte ausgegangen – so meinte ich, es dürfte nach seinem Tode keine Aenderung eintreten –“

„Selber bist Du hier gewesen?“ rief Knut wie seinen Ohren nicht trauend, „hörte ich doch von dem Schiffer Olsen, der Olaf habe einen Burschen geschickt.“

Engelid erröthete und wandte den Blick ab.

„Da es nun einmal heraus ist,“ sagte sie dann mit erzwungenem Gleichmuth, „so brauch’ ich mich dessen nicht zu schämen; hätt’s freilich lieber verschwiegen. Ja, ich selber war hier. Ich wollte den Leuten keine Gelegenheit zur Nachrede geben, und da legte ich Männerkleider an. Des Abends kam ich in dem Boot hier an, und mit Tagesanbruch begab ich mich auf den Rückweg, sodaß Niemand mich ansprach oder gar erkannte. Das war mir Zeit genug, um in Deinem Hause zum Rechten zu sehen, auszukehren und das Wollenzeug mit gutem frischem Kraut gegen den Mottenfraß zu schützen. Zwei Hände arbeiten viel, wenn sie’s ordentlich meinen; Binsen und Kraut, auch harzige Tannenzweiglein sammelte ich auf dem Wege hierher, wenn ich an einer zugänglichen Stelle vorübersegelte; denn so trug mir der Olaf auf. Er hatte Dir versprochen, sich um Dein Eigenthum zu kümmern, und dasselbe versprach ich ihm. Das ist Alles, und nichts giebt’s zum Erstaunen. Gern hätten wir Deine Felder bestellt oder verpachtet, aber dazu fehlten uns Kräfte und Gelegenheit.“

„Laß die Felder aus dem Spiel, Engelid! Sind’s doch nur dürftige, winzige Fleckchen. Die haben sich jetzt ausgeruht und tragen um so reichlicher. Wer weiß, ob ich sie selber noch einmal bestelle, ob ich mein Heimwesen nicht verkaufe. An jedem anderen Orte bin ich nicht fremder als hier.“

„Das ist lediglich Deine Sache,“ erklärte Engelid eintönig; „hier handelt es sich nur noch darum, daß ich Dir Dein Eigenthum übergebe und recht viel Glück für die Zukunft wünsche. [392] Der Hausschlüssel steckt in der Thür, und dies ist der zu der Truhe“ – sie zog einen seltsam geschweiften Schlüssel hervor und erhob sich – „nun komm – in zwei Minuten ist Alles abgethan; dann will ich Dich nicht weiter stören.“

Gemeinsam mit Knut schritt sie nach einer mit eisernen Schnörkeln beschlagenen, blau und roth angestrichenen großen Kiste hinüber. Leicht öffnete sich das Schloß unter ihren Händen. Etwas mehr Mühe verursachte es ihr, den gewölbten schweren Deckel zurückzuschlagen. Als sie sich Knut wieder zukehrte, entging ihr nicht, daß derselbe sie mit einer gewissen ehrerbietigen Scheu betrachtete, und in dem Gefühle, daß ihr das Blut ungestümer in die Wangen stieg, neigte sie sich, befangen, über die offene Truhe hin. Ein Weilchen tastete sie unter Wäsche und Kleidungsstücken – Alles war mit duftendem Kraut durchschossen – umher; dann reichte sie Knut einen straff verschnürten ledernen Beutel.

„Hier ist Dein Geld,“ sagte sie, „es sollen über zwölfhundert Kronen sein – ich zählte sie nicht, aber der Olaf nannte diese Summe. Ein Zettel liegt dabei; darauf steht geschrieben, wie das Geld einkam, was der Verkauf der Ziegen und der Kuh, was jedes Huhn brachte, was er an alten Forderungen einzog und um welchen Preis er Dein Boot verkaufte. Willst Du das Geld jetzt zählen, ist mir’s recht. Thust Du’s lieber, wenn ich gegangen bin, ist mir’s ein Beweis für Dein Vertrauen.“

„Ich brauch’s überhaupt nicht zu zählen. Höchstens die Summen, die ich davon ausgebe,“ sagte Knut und warf den Beutel nachlässig auf den Tisch.

„Auf alle Fälle reicht’s aus, um Dich wieder mit Allem zu versehen, was zu einem ordentlichen Hausstande gehört,“ bemerkte Engelid wie beiläufig, „von Deinen anderen Sachen kann nichts fehlen. So oft ich hier war, streute ich beim Hinausgehen aus dem Hause Sand auf den Flur, und nie entdeckte ich bei meiner Wiederkehr eine menschliche Fußspur. Weißt ja, Knut, es liegt nicht in der Natur der Norweger, sich um anderer Leute Eigenthum zu kümmern oder gar die Hand darnach auszustrecken. Die lose eingeklinkte Thür wird geachtet, wie zehn Schlösser und Riegel, die sie halten. Solltest Du sonst noch Auskunft über etwas wünschen, so schreib es auf, damit Du es nicht vergißt! Ich gehe jetzt in’s Dorf, um alte Bekannte zu begrüßen. Dann segle ich in meinem Boot von dannen, kehre aber, bevor ich die Reise nach der Schärenhütte antrete, noch einmal zurück. Ist Dir bis dahin Dieses oder Jenes eingefallen, so magst Du mich fragen, so viel Du willst.“

[405] Knut beachtete den Inhalt der Kiste nicht weiter. Er hatte die Renthierbüchse, die schon sein Vater führte, von der Wand genommen. Aufmerksam betrachtete er Rohr und Schloß.

„Alles sauber und rostfrei,“ bemerkte er, anscheinend Engelid’s Worte überhörend.

„Olaf gab mir öliges Mark aus einem Ziegenknochen und unterwies mich, wie ich es anzuwenden habe. Es war keine Mühe.“

„Das Schloß spielt, wie ein Uhrwerk,“ fuhr Knut gelassen fort. Er hob die Büchse an die Schulter und zielte auf einen Punkt des jenseitigen Ufers; dann, indem er sie absetzte, wandte er sich mit einem gewissen Behagen wieder zu Engelid: „Wer hätte geglaubt, daß ich dies alte Schießzeug noch einmal zur Hand nehmen würde!“ sagte er, und seine Augen leuchteten vor Freude, daß es Engelid schier verwunderte, das ernste Antlitz plötzlich einmal erhellt zu sehen; „mit dem Einrichten des Hausstandes hat es keine Eile; was soll ich mich an die vier Wände binden und fesseln? Für ein zeitweises Obdach, so lange es nichts mit der Jagd ist, sind sie gut genug, aber Ziegen melken und Fische dörren? Verdammt! Engelid, da gehe ich lieber hinaus in’s Jotungebirge – einen Cameraden werd’ ich schon finden oder zwei – und da will ich meine Lust haben, wenn’s gilt ein Rudel Renthiere in eine Sackschlucht zu treiben, einem Vielfraß nachzuspüren oder einem Bären aufzulauern.“

Er hing die Büchse wieder an die Wand. Als er gewahrte, daß Engelid sich zum Gehen anschickte, sprach er gleichmüthig:

„Willst also fort? Bei Gott, Engelid, ich kann’s Dir nur mit Worten danken, daß Du so lange hier zum Rechten sahst. Böte ich Dir mehr, möchtest Du eine Beleidigung darin finden.“

„Sicher thät ich das, Knut, und die habe ich noch weniger verdient, als Deinen Dank. Ich sagte Dir schon: auf des alten Zauberspielers Wunsch hätt’ ich an jedem Anderen ebenso gehandelt. Hegte ich nebenbei noch einen besonderen Gedanken, so hatte der mit meinen Gefälligkeiten nichts zu schaffen. Wir waren einst Nachbarskinder, trafen uns bei Spiel und Tanz – das ist Alles.“

„So nehme ich auch meinen Dank zurück,“ versetzte Knut mißmuthig, fügte indessen etwas wärmer hinzu: „Dagegen sollst Du mir nicht wehren, Dich zu bitten, meiner eingedenk zu sein, das heißt, wenn Du je irgend eines Freundschaftsdienstes oder einer Gefälligkeit benöthigt bist, so erinnere Dich des Knut Knutsen!“

„Das Anerbieten wehre ich Dir nicht; ich nehme es sogar mit gutem Dank an, werd’ aber schwerlich jemals in die Lage gerathen, Dich oder einen Anderen um einen Dienst anzusprechen. Es ist also kein böser Wille, wenn’s nicht geschieht. – Doch Du magst Dich sehnen, allein zu sein, Umschau zu halten in Deinem Eigenthum. Und so sage ich Dir Lebewohl. Mein Boot laß ich hier vor Deinem Hause liegen, höchstens heute und die Nacht, wenn Dir’s recht ist.“

„So lange, wie Dir’s gefällt, Engelid,“ erklärte Knut bereitwillig, indem sie in’s Freie hinaustraten, „doch wohin willst Du vor Deiner Heimkehr nach der Schärenhütte?“

„Nach Lärdalsörne. Dort laß ich’s Boot und gehe ein paar Stunden das Lärdal hinauf.“

„Hast Bekannte dort oder Anverwandte?“

„Bekannte, ja. Anverwandte habe ich überhaupt nicht mehr. Aber ich will Dir’s gestehen, damit Alles klar zwischen uns, und Du, wenn wir einander begegnen, mich wie einen guten Freund begrüßest, nicht argwöhnst, in meinem Kopfe gingen tolle Gedanken aus der Kindheit um.“

Sie hatten das Haus verlassen und waren auf dem schmalen Uferwege eingetroffen, wo sie stehen blieben. Engelid blickte über das stille Wasser, auf welchem das jenseitige Ufer im Spiegelbilde eine so täuschende Fortsetzung fand, daß die Grenze zwischen Trug und Wirklichkeit schwer zu markiren war. Knut beobachtete träumerisch den Flug zweier Möven, deren blendend weißes Gefieder in dem schattigen düsteren Felskessel förmlich leuchtete. Eine Freude des Wiedersehens des heimathlichen Fjords, wie sie ihm in der Ferne vorgeschwebt haben mochte, empfand er nicht. Im Gegentheil – ein eigentümliches Gefühl der Vereinsamung, des Fremdseins, wollte nicht von ihm weichen. Und dennoch, wie erschienen ihm die verflossenen zehn Jahre angesichts der vertrauten Umgebung so kurz, so verschwindend kurz! Oben, hoch oben auf den Rändern des geborstenen Plateaus, zitterte Sonnenschein; wie von den goldigen Strahlen geboren, schäumten hier und da die von den Gletschern ringsum genährten Gießbäche nieder. Es rauschte und brauste dumpf. Im nahen Dorf krähten die Hähne und dröhnte die Axt des Zimmerers. Weiter abwärts glitten leichte Fischerböte ab und zu.

„Alles noch wie damals!“ sagte Knut in Gedanken verloren.

„Alles noch wie damals!“ wiederholte Engelid. „Nur die Menschen sind älter geworden,“ fügte sie mit einem kaum bemerkbaren herben Lächeln um die üppigen Lippen hinzu, „und wie könnte es anders sein? Soll das stürzende Wasser da drüben doch allmählich den härtesten Stein aushöhlen, wie mir einst ein [406] kluger Mann erzählte – aber ich bin Dir noch eine Auskunft schuldig. Ich sagte Dir, daß der Müller Ornesen im Lärdal mich vor langen Jahren zum Weibe begehrte. Ich schlug’s aus, und als er nach der Ursache fragte, verrieth ich ihm, daß ich mich nur Jemand zu eigen geben könne, an dem mein Herz hinge. Mein Vertrauen gefiel ihm, und da sagte er, daß Alles in der Welt sich ändern möge, er aber seinem Vorschlage treu bleibe bis zur letzten Stunde, und wenn ich eines Tages zu ihm komme, würde es sein Glück sein, und ich sollte keine Ursache finden, meinen Schritt zu bereuen. Wohlan denn, Knut, mein Sinn steht nicht nach Reichthum, aber ich fühl’s, nach dem langen einsamen Leben ist’s besser, ich übernehme Pflichten, die all mein Sinnen und Trachten ausfüllen.“

„So willst Du den Ornesen heirathen?“ fragte Knut, und aus seiner Stimme klang es wie heimlicher Verdruß.

„Er ist ein rechtschaffener Mann,“ antwortete Engelid. „Sagt er, daß es ein Glück für ihn in seinem Alter, so ist’s wahr.“

„Du solltest Dir die Sache gehörig überlegen, Engelid; Du fändest wohl einen jüngeren und ansehnlicheren Mann.“

„Dazu bedarf es keines langen Ueberlegens. Ich seh’ nicht mehr nach Jugend und Schönheit. Ich geb’ mich Jemand, der mich nimmt, wie ich bin, nicht von mir verlangt, daß mir’s Blut noch durch die Adern tanze, wie die Elfs da drüben von Stein zu Stein springen – doch was soll das Reden? Lebe wohl, Knut! Von Herzen wünsche ich Dir Glück und Wohlergehen.“

Sie reichte ihm die Hand. Ihr Antlitz war vollkommen ruhig. Ueber einen mißlungenen Fischzug hätte sie nicht gleichmüthiger sprechen können. In Knut’s Brust aber arbeitete es seltsam. Es mochte ihm vorschweben, wie der Müller sie jubelnd willkommen heißen, wie er Alles aufbieten werde, ihr in seinem Hause eine trauliche Stätte zu bereiten. Ja, das war wohl ein anderes Wiedersehen, als das mit ihm in der Schärenhütte, und eine Reihe von Jahren war ja ebenfalls verstrichen, seitdem die Beiden einander zum letzten Mal in die Augen schauten, Jahre, in welchen der Müller in demselben Maße alterte, in welchem Engelid sich entwickelte und reifte. Er hätte den alten Mann beneiden mögen. Bevor er ein Wort der Erwiderung fand – und er wußte in der That nicht, was er hätte sagen sollen – schritt Engelid dem Dorfe zu.

„Engelid!“ rief er ihr nach. „wir sehen uns noch, wenn Du Dein Boot abholst. Ich muß Dir ebenfalls noch einen Glückwunsch mit auf den Weg geben, und eine Hochzeitsgabe von meiner Hand schlägst Du gewiß nicht aus.“

„Nein, Knut!“ rief Engelid eigenthümlich sanft über die Schulter zurück, „die schlage ich nicht aus, wenn ich Dir eine Freude damit bereite,“ und weiter schritt sie mit selbstbewußter, aufrechter Haltung, weiter auf ihren festbeschuhten Füßen, die fast zu klein für den hohen, kräftig gebauten Körper erschienen.

Knut blickte ihr sinnend nach. Es war sichtlich eine Augenweide für ihn, das große, schöne Mädchen, wie es sich geschmeidig in den Hüften wiegte, so anmuthig dahin schreiten zu sehen. O, es war ihm eine eigenthümliche, halb wehmüthige Lust, dieses Sehen – aber Eines sah er nicht: daß bald, nachdem sie von ihm gegangen, schwere Thränen langsam über Engelid’s Wangen rollten, er sah nicht, wie sie die Lippen fester auf einander legte und mit einer heftigen, sogar trotzigen Bewegung die Tropfen von ihren Wangen entfernte; er sah nicht den zornigen Blick, den sie auf den stillen Wasserspiegel warf, wie um Alles, was noch schmerzlich in ihr nachwirkte, in der unergründlichen Tiefe der Fluth zu begraben.

Sobald Engelid aus seinem Gesichtskreise getreten war, kehrte Knut in’s Haus zurück. Finster schauend, warf er sich hinter dem Tische auf die Bank. Wie erschien ihm das alte, vertraute Gemach plötzlich so verödet und vereinsamt! Unwillkürlich lauschte er. Ihm war, als könne er das Geräusch unterscheiden, mit welchem Engelid draußen in dem engen Küchenraum arbeitete, das Geräusch ihrer Schritte, indem sie sich anschickte, ihn freundlich zu bedienen. Aber sie war ja gegangen – gegangen – und es lag etwas wie Trotz in der Art, wie sie gegangen – – mit einer Geberde aufflackernden Zornes warf er den Hut neben sich aus den Tisch. Heftig sprang er empor, und mit flammendem Eifer begann er unter seinen alten Habseligkeiten zu ordnen und zu kramen, um sich dadurch Betrachtungen zu erwehren, die sich ihm unheimlich aufdrängten. Achtlos schleuderte er den Beutel mit dem Gelde in die Truhe und krachend schmetterte er den Deckel in seine Fugen. Durch nichts mehr wollte er an Jemand erinnert werden, der sich anmaßte, ein Recht an ihn zu besitzen.

„In’s Jotungebirge hinauf, in’s Jotungebirge hinauf!“ sprach er vor sich hin, um sein wildes Blut zu beruhigen und als ob ihm die Einsamkeit in dem eigenen Hause nicht einsam genug gewesen wäre. Neuen Grübeleien auszuweichen, trat er in die Küche hinaus. Ja, da standen und lagen gesäubert und geordnet die wenigen einfachen Küchengeräthe, wie sie aus Engelid’s Händen hervorgegangen. Jetzt hatte er in seinem Hauswesen selber zum Rechten zu sehen – ha, diese Ordnung, wie er sie haßte, weil sie von – ihr stammte! Teller, Schüsseln, Tiegel, Alles klirrte vor seinem wüsten Griffe über einander; nach rechts und links flog die Asche von der Feuerstelle über die sorgfältig gereinigten Herdsteine.

Was brauchte er zu kochen, Weiberdienste zu verrichten, so lange es eine Schänke im Dorfe gab? Mit wuchtigem Schritte kehrte er in’s Zimmer zurück, herausfordernd drückte er den Hut auf seinen Kopf, um in’s Dorf zu gehen und sich zu erkundigen nach alten Bekannten, nach den Männern, mit denen er aufgewachsen war und in deren Gesellschaft er manche Stunde beim schäumenden Bier verbrachte. Indem er aber das Zimmer verlassen wollte, streifte sein Blick das Bett und die über dasselbe ausgebreiteten Kräuter. Spöttisch lachend riß er die Decke herunter, und sie schüttelnd, warf er Alles zu den Binsen auf den Fußboden. Sich dem Bette wieder zukehrend, gewahrte er, daß auch das weiße Laken mit Blättern und Zweiglein bestreut war, und auf dem Kopfpfühl lag ein Kranz von denselben Kräutern, jedoch mit vertrockneten Blumen durchschossen. Finster betrachtete er das augenscheinlich vor Wochen erst erneuerte Gewinde.

Da tauchte Engelid’s Bild wieder in seiner Phantasie auf. Im Geiste sah er sie in schwindelnder Höhe auf schroffen Felsabhängen die Kräuter und die Blumen pflücken, er sah sie dieselben zum Kranze ordnen und endlich sein Lager damit schmücken und schützen gegen häßliches, nagendes Gewürm. Er sah sie, über die Bettstelle hingeneigt, mit leichter Hand Decken, Pfühle und Pflanzen ordnen, sah sie ernst auf ihr Werk niederschauen, sich vielleicht die Zeit vergegenwärtigen, in welcher sein Haupt wieder die Stelle des Kranzes einnehmen würde.

Tiefer runzelte er die Brauen; zögernd streckte er die Hand nach dem Kranze aus. Plötzlich flog das zerbröckelnde Gewinde zur Erde, und ihm nach folgten welke Blätter und Tannennadeln. Immer wieder glitt die flache Hand über das Linnen, bis er endlich kein Stäubchen mehr auf demselben entdeckte.

„Der Teufel mag in dem strengen Dufte schlafen!“ entschuldigte er sich vor sich selber, als es wie ein Gefühl der Scham über ihn kam. Den mißhandelten Kranz konnte er nicht ansehen. Es erwachte die Empfindung in ihm, als hätte er mit dessen Entfernung einen Schlag gerade in Engelid’s Antlitz geführt. Schnell holte er einen Besen herbei und eilfertig begann er Binsen, Blätter, Zweige und Kranz zusammen zu fegen. Auf dem Küchenherd thürmte er Alles über einander und zündete es an. Leicht brannte der ausgedörrte Stoff, und als er in die Flammen schaute, die so lustig emporloderten, da erst wurde ihm leicht um’s Herz; da erst fühlte er, daß er hinfort sicher vor Anwandlungen sein werde, die seinen Sinn umdüsterten.

Noch einmal spähte er in alle Winkel. Nirgends entdeckte er etwas, das ihn an Engelid erinnert hätte, frohen Muthes trat er in’s Freie hinaus und wanderte dem Dorfe zu.

Als er die ersten Häuser erreichte, hatte er seine liebe Noth, bald hier, bald dort die Leute, die in den Thüren erschienen, zu begrüßen und deren freundliches Willkommen nach den vielen langen Jahren mit kräftigem Händedrücken zu lohnen.

Zu vielen Worten und Erklärungen war indessen keine Zeit. Nach der Schänke wollte er gehen, und wer mehr von ihm zu hören und zu sehen wünschte, der mochte ihm folgen und den Nachmittag und den Abend mit ihm verbringen.



4.

Die letzten Lichtbilder hoch oben aus dem senkrecht abfallenden Gestein schoben sich den Plateaurändern zu und verriethen den niedrigen Stand der Sonne – da hätte kaum noch Jemand einen Platz in der großen Gaststube der Schänke gefunden. Dicht geschaart saßen Alt und Jung um den heimgekehrten Nachbarn.

[407] Alle drängten sich an ihn heran, um einmal mit ihm zu trinken, Fragen an ihn zu richten und dafür selbst wieder Auskunft über Dieses oder Jenes zu ertheilen. Man trank und trank. Brauner wurden die Physiognomien, lebhafter die Gespräche, dichter der Tabaksrauch und ausgelassener das Lachen und die Scherze, welche die gehobenen Gläser begleiteten.

Knut war wieder der Alte. Sein Frohsinn war erwacht. Seine Erzählungen von fernen Ländern würzte er wieder mit tollen Schalksreden, durch welche er einst die Jugendgenossen an sich fesselte, alle Mädchen des Dorfes auf seine Seite brachte. Auch vom Heirathen sprach man gelegentlich, und daß es für Knut an der Zeit sei, mit einer rechtschaffenen Frau sein Haus neu zu beleben. Einzelne riethen ihm, wahr zu machen, was man anfänglich geglaubt habe, nämlich daß die Engelid ihm bereits angetraut worden. Andere priesen dagegen des Mädchens ruhige Würde und Sittsamkeit und ihren eine ehrsame Frau gefällig kleidenden Ernst. Manche, die ihr am Tage begegnet waren, wollten sie kaum wiedererkannt haben, so stattlich sei sie ihnen erschienen, und Alle wunderten sich, wo sie nur die langen Jahre verlebt habe.

Da erklärte Knut, über’s Heirathen sei er hinaus; vom Wasser habe er aber genug, und in’s Gebirge hinauf wolle er, um von der Jagd zu leben, in’s Gebirge, wo Niemand ihn um seine Wege befrage, wie’s selbst der besten Weiber Art. Die Engelid sei nebenbei eine stille, verschlossene Natur; er aber, wenn er jemals freie, müsse Jemand haben, der ihn aufheitere, ihm die Grillen vertreibe, und das Leben erleichtere.

„Nichts mehr von Engelid!“ brauste er auf und dabei stürzte er ein Glas Wachholderbranntwein hinunter, und mit der Faust schlug er auf den Tisch, daß alle Gläser klirrten und die alten Genossen heimlich meinten, er sei auf seinen Weltfahrten wohl gar ein wüster, arger Geselle geworden.

„Ich weiß übrigens,“ fuhr er fort, „aus des Mädchens eigenem Munde, daß ihr Sinn nach einem Anderen steht, und das ist der alte Müller Ornesen im Lärdal.“

„Unmöglich! Dann hätte sie ihn vor Jahren genommen, als er um sie anhielt,“ hieß es aus verschiedenen Richtungen zurück.

Und, wiederum schlug Knut mit der Faust auf den Tisch, indem er bei seinem ehrlichen Namen betheuerte, daß sie schon folgenden Tags nach dem Lärdal wolle, um mit dem Ornesen Alles in Richtigkeit zu bringen.

„Tag und Nacht am Bett eines alten kranken Mannes zu sitzen!“ warf ein Anderer ein; „schon damals war’s eine Thorheit von dem Müller, noch an’s Heirathen zu denken. Jetzt aber, da er fast immer bettlägerig und mürrisch ist, müßt’s eine barmherzige Heilige sein, die sich dazu verstände.“

„Um’s Geld thut Mancher Vieles,“ antwortete Knut geringschätzig die Achseln zuckend; „der Müller gewinnt an der Engelid eine sorgsame Pflegerin, die Engelid durch ihn eine ordentliche Sicherheit für die Zukunft, und da haben Beide ihren Vortheil davon. Zum Teufel mit solchen Reden! Die dienen am wenigsten dazu, eine rechte Lustigkeit aufkommen zu lassen. Lustig aber will ich sein in der ersten Nacht, die ich in dem Lyster-Fjord verbringe, und sollt’s mich die letzte Krone kosten!“

Das war noch ein Wort, welches ringsum einen guten Widerhall fand. Geräuschvoller wurde die Gesellschaft; wilder glühten die wettergebräunten, harten Gesichter, und verwegener schauten alle Augen, indem man die Heimkehr des alten Genossen in vollen Zügen feierte. Man schien der Lust kein Ende finden zu können.

Die Mitternachtsstunde war längst vorüber, als man sich endlich von einander trennte. Durch’s Dorf erhielt Knut zahlreiches Geleite; dann schritt er, eine muntere Melodie in die kühle Nacht hinauspfeifend, der einsamen Heimstätte zu; er Pfiff so lange, wie er glaubte, daß die alten Cameraden ihn hörten. Dann neigte er das Haupt auf die Brust, und war er kurz zuvor der Ausgelassenste im Kreise der Zechgenossen gewesen, so überfiel ihn jetzt bittere Unzufriedenheit mit sich selbst und der ganzen Welt.

Tief verdroß ihn, daß man ihn mit Engelid hatte zusammenreden wollen, mit derselben Engelid, die so lange geglaubt hatte, daß er ihr angehören müsse; tiefer noch, daß sie so leicht und schnell sich entschloß, einen alten kranken Mann zu heirathen und für ein günstiges Testament vielleicht noch einige Jahre die barmherzige Schwester zu spielen.

So grübelte er, indem er den Weg heimwärts verfolgte, bis er endlich sein Haus vor sich liegen sah. Ein Weilchen betrachtete er den in nächtliche Schatten gehüllten kleinen Bau, der sich von der hinter ihm emporstrebenden Felswand kaum unterschied. Stärker und deutlicher, als am Tage, drang das Rauschen und Brausen der fernen und nahen Sturzbäche zu ihm herüber, die heute, wie vor zehn Jahren, ihren Weg in den stillen Fjord hinab suchten. Da ertönte das dumpfe unheimliche Dröhnen, mit welchem hoch oben im Gebirge die Eisfelder barsten, nachdem sommerliche Gletscherwasser sie unterwühlt hatten. Knut richtete sich auf, als wäre es ein Ruf gewesen, der ihm gegolten habe. Sein Blick streifte Engelid’s Boot. Wie dadurch friedlich berührt, kehrte er sich ab, und gleich darauf umringte ihn die Dunkelheit seiner Wohnung. Nur matt schimmerten ihm die beiden Fenster auf der Wasserseite entgegen. Wo sollte er eine Lampe oder eine Kerze finden? Doch er kannte jeden Winkel im Hause, wußte, wo sein Bett stand. Nur wenige Secunden brauchte er Helligkeit, um die über einander geworfenen Decken, Laken und Pfühle ein wenig zu ordnen, und was lag ihm überhaupt an Bequemlichkeit? Nachlässig setzte er ein Schwefelholz in Brand, und indem er nach einem Kienspan suchte, bemerkte er auf dem Tische die Stubenlampe. Schnell zündete er sie an, und jetzt erst entsann er sich, daß sie, als er das Haus verließ, nicht dort gestanden hatte. Sogar reichlich Oel fand er in derselben vor. Während seiner Abwesenheit mußte also Jemand das Haus betreten und ihm diese Aufmerksamkeit erwiesen haben. Und wer konnte es anders gewesen sein, als Engelid? Er sah um sich. Sein Bett war wieder geordnet. Er blickte in die Küche. Auch dort hatte eine freundliche Hand gewaltet. Wie Bedauern kam es über ihn – und wiederum flackerte sein Zorn über die unverlangten Dienste empor. Grollend löschte er die Lampe aus; wie vor Tagen in der Schärenhütte, warf er sich auch hier unentkleidet auf’s Bett. Sein Kopf brannte; fieberhaft jagte das Blut durch seine Adern. Die Folgen des Gelages drohten ihm den Schlaf während des kurzen Nachtrestes zu rauben. Dazu der Duft der Kräuter, welcher sich den Decken und dem Linnen mitgetheilt hatte und ihn beständig an Engelid erinnerte. Nun, sie befand sich ja noch im Dorf, und wenn sie kam, ihr Boot zu holen, wollte er ihr für die letzte ihm erwiesene Aufmerksamkeit danken, damit er ihr nichts mehr schuldig; denn Geld, oder Geldeswerth würde sie bei ihrem einfältigen Stolz nimmermehr von ihm angenommen haben. Beruhigend wirkte dieser Gedanke. Er schloß die Augen, allein neue Betrachtungen stürmten auf ihn ein, daß der Schlaf ihm fern blieb, und zu diesen gesellten sich Bilder, deren er sich mit aller Macht, jedoch vergeblich, zu erwehren suchte.

Er sah Engelid, wie sie das aus einander gerissene Bett betrachtete, wie sie auf dem Herd die Spuren der verbrannten Kräuter und des Kranzes entdeckte und damit den Beweis, daß ihre freundliche Fürsorge ihm widerwärtig gewesen. Wie ihr das wohl durch die Seele geschnitten haben möchte! Doch wer hatte sie geheißen, ihm Kränze zu winden, als ob er bereits der Ihrige gewesen wäre?

So peinigte und folterte er sich selbst. In einem Mittelzustande zwischen Träumen und Wachen hatte er die Empfindung, als ob ein Alp auf seiner Brust kniee und ihm mit höhnischem Grinsen die einsame Schärenhütte zeige. In deren Thür gewahrte er Engelid, wie sie die Arme ihn entgegenbreitete, sich selbst, wie er sie zärtlich an sich drückte, sie küßte und ihr dankte, daß sie sein Andenken treu bewahrt und mit einem einzigen Blick die Rinde geschmolzen habe, die sich im Laufe langer Jahre und in dem Bewußtsein, als heimathloser Fremdling die Welt durchirren zu müssen, um seine Brust gewebt hatte. Thränen entstürzten ihren Augen, indem sie gelobte, ihm zu dienen und unterthan zu sein, ihn zu lieben bis über das Grab hinaus.

Ja, so hätte es sein können, und im Lyster-Fjord bei Freunden und Bekannten wäre große Freude gewesen – – aber er hatte sie von sich gestoßen, verspottet und verhöhnt, und sie hatte Alles hingenommen, still, ergebungsvoll und ohne Klage.

Neue Bilder verdrängten die alten. Den kranken hinfälligen Müller vergegenwärtigte er sich, wie seine matten Augen beim Anblicke Engelid’s aufleuchteten, ihm vor Rührung die Sprache versagte, als er vernahm, daß sie nunmehr sein eigen sein wolle.

Ha, wie das ihn wurmte, und doch gestand er sich, daß sie nur handelte, wie ihr goldenes Herz es ihr eingab. Noch mehr wurmte ihn, daß sie mit einer herben Erinnerung an ihn in das [408] neue Verhältniß eintrat. Denn verbittert mußte es sie haben, daß er Alles, was von ihr herrührte, mit Füßen getreten und vernichtet hatte.

Noch immer umschwebte ihn der Duft der Kräuter. Träumend meinte er, daß dieser Duft von den Flammen ausgehe, welche den Kranz verzehrten. Wer konnte ahnen, daß die Fürsorge für ihn das Mädchen noch einmal in sein Haus führen würde? Eine überflüssige Fürsorge obendrein, nachdem sie ihm bereits Lebewohl gesagt hatte. Aber ihr Boot lag noch vor seiner Thür, sie mußte daher noch einmal zurückkehren. Dann wollte er vor sie hintreten, sie bitten, ihm das sinnlose Treiben zu verzeihen, ihm ein freundliches Andenken zu bewahren, wie auch er ihr stets in aufrichtiger Freundschaft zugethan sein werde.

Nicht länger mehr störten wirre Phantasien seinen Schlaf. Vollständige Vergessenheit legte sich um seine Sinne. Sein Blut kühlte sich ab; er athmete lang und tief. –

Als Knut endlich erwachte, war es heller Tag. Er sprang empor und sah zum Fenster hinaus. Die westlichen Plateauränder schwammen bereits in Sonnenschein. Gleich darauf stand er draußen auf dem Felsenufer – – das Boot war verschwunden. Nirgends entdeckte er eine Spur desselben. Es konnte ihn nicht überraschen; denn Engelid hatte ihm angekündigt, am frühen Morgen ihre Reise antreten zu wollen.

Bitter enttäuscht ließ er sich auf einen Felsblock nieder. Was hätte er nicht darum gegeben, noch einige Worte mit ihr zu wechseln! Allein sie war fort, weit fort, bereits auf dem Wege zu Jemand, dem ihr ganzes ferneres Leben geweiht sein sollte, zu Jemand – es waltete ja kein Zweifel darüber – dem er selbst sie in die Arme gelegt hatte. Wie erschien ihm sein Haus plötzlich öde und vereinsamt – wie licht dagegen jeder Raum in der Erinnerung an Engelid! Mit beiden Händen fuhr er in sein Haar. Da gedachte er der Möglichkeit, daß sie vor dem Dorfe noch einmal angehalten habe. Schnell begab er sich in’s Haus zurück, um bald darauf wieder im Freien zu erscheinen. Hastig schritt er dem Dorfe zu. Wo sie übernachtete, wußte er, denn dieselben Leute, bei welchen sie vor zehn Jahren um Lohn diente, hatten sie zu Gast geladen. Von ihnen erfuhr er mit mancher lobenden Bemerkung, daß sie beim ersten Grauen des Tages sich reisefertig gemacht habe, um den günstigen Wind, welcher durch den Fjord hauchte, auszunutzen. Heiter sei ihr Abschied gewesen, berichteten die guten Leute, heiter auch der Gruß, welchen sie für ihn zurückgelassen habe. Ueber die Richtung ihres Weges hatte sie sich nur unbestimmt geäußert, dagegen gemeint, daß wohl einige Zeit vergehen möchte, bevor sie den Lyster-Fjord wieder besuche. Auch von ihm hatte sie noch in der letzten Minute gesprochen und gerathen, daß die Nachbarn ihn als einen guten Freund willkommen heißen und sich die Mühe nicht verdrießen lassen sollten, die Bitterkeit in seiner Natur zu bekämpfen, ihm nach dem langen Umherirren auf allen Meeren die Heimstätte in eine behagliche umzuwandeln.

Nach diesen Mittheilungen war Knut gegangen, aber nicht zurück nach seinem Hause, sondern zum andern Ende des Dorfes hinaus. Dort hatte er wieder auf dem Uferrande gesessen und vor sich in die unergründlichen Fluthen hinabgeschaut, wie um in der Tiefe nach einem Anhalte zu einem entscheidenden Entschlusse zu suchen.

Eine Stunde und länger saß er dort. Plötzlich sprang er empor. Als hätte es gegolten, ein großes Versäumniß einzuholen, schlug er einen Pfad ein, welcher durch das Schluchtengewirre, über Höhen hinweg und an Abgründen hin nach dem Aarlands- Fjord führte. Spät Abends traf er daselbst auf einem Fischergehöfte ein, wo er gastliche Aufnahme fand, aber nur kurze Zeit rastete er daselbst, nur so lange, bis der Tag sich anmeldete. Dann ließ er sich über den Fjord setzen, und als die Sonne mit ihren ersten schrägen Strahlen die zackigen Plateaus streifte, da befand er sich bereits wieder auf dem Wege nach der massiven Höhe hinauf, welche auf der andern Seite von dem Lärdal und dem dieses enggewundene Thal durchschäumenden Elf begrenzt wurde. Aengstlich beobachtete er auf seinem schwindelnden Wege die wechselnden Luftströmungen. Er berechnete deren Wirkung auf die unten in den Fjords befindlichen Segel und die Zeit, welche diese gebrauchtem um bestimmte Entfernungen zu durchmessen. Oft meinte er zagend, von der beschwerlichen, seine ganze Kaltblütigkeit, seine ungeteilten Kräfte in Anspruch nehmenden Wanderung abstehen zu müssen.

Doch immer wieder raffte er sich empor, und dahin eilte er, als hätte sein Leben davon abgehangen, vor Ablauf einer bestimmten Frist an ein ihm vorschwebendes Ziel zu gelangen. Ihn lockte nicht mehr die Aussicht auf die ihn umringenden gletschergekrönten Gebirge, nach welchen vor kurzem noch sein ganzer Sinn stand, lockten nicht die sich gleichsam drohend anbauenden bizarren Hörner, Pics und Dome. Kalt glitten seine Blicke über dieselben hin, kalt und theilnahmlos, als hätte er sich von der gewaltigen Naturumgebung nie getrennt gehabt, nach welcher er doch die vielen langen Jahre hindurch, wenn er auf fernen Meeren der ihm verbotenen Heimath gedachte, sich so innig gesehnt. Nach vorn nur waren seine ängstlich suchenden Augen gerichtet, und als er endlich den südlichen Rand des Plateaus erreicht hatte, von welchem aus er in das Lärdal mit seinen schmalen grünen Wiesen und reifenden Getreidefeldern hinabsah, athmete er auf, wie Jemand, der vor einer Aufgabe steht, deren Lösung über sein ganzes Leben entscheiden soll.

Die westliche Sonne streifte einen Theil der Thalsohle. Deutlich erkannte er die Kunststraße, welche als feine weiße Linie der Richtung des sich durch schäumende Gefälle auszeichnenden Stromes folgte. Vereinzelte Menschen und Gefährte unterschied er nach längerem scharfem Hinabspähen als einherkriechende Punkte. Erschien die seltsame Stabkirche von Borgund doch wie Spielzeug, von Kinderhänden auf eine grüne Decke hingestellt, umringt von Häuschen und Hütten, wie solche auf Weihnachtsmärkten der munteren Jugend feil geboten werden. Die Borgunder-Kirche aber war sein nächstes Ziel. Von dort betrug die Entfernung bis zu der von dem tosenden Elf getriebenen Mühle des alten Ornesen nur noch wenige Minuten.

Auf dem Antlitz den Ausdruck von einander wild bekämpfenden Empfindungen, trat Knut seinen Weg abwärts an. Ein echter Gebirgspfad war es, dem er folgte. Oft kaum erkennbar, von der Natur allein für die sicheren Hufe scheuer Renthiere geschaffen, führte er an den schroffen Abhängen hin. Doch hinab und tiefer hinab eilte Knut springend und kletternd, unermüdlich. Je deutlicher sich die östlich und westlich zwischen gewaltigen Plateaus sich verlierende Straße von ihrer Umgebung abhob, um so ängstlicher spähte er nach einer hohen kräftigen Mädchengestalt, welche, vielleicht am Lärdalself heraufkommend, der alterthümlichen Kirche zuwanderte.

Der Sonnenschein war längst von der Thalsohle fortgeglitten, als nur noch einige Geröllhügel ihn von dem Elf trennten. Vereinzelte Menschen kamen und gingen; zweirädrige Karriols rollten hierhin und dorthin, doch was seine Augen suchten, fanden sie nicht.

Wer sagte ihm, wo diejenige weilte, die ihn zu der mühevollen, beinahe seine letzten Kräfte erschöpfenden Wanderung veranlaßt hatte? War er von ihr getäuscht worden, und befand sie sich dennoch auf dem Wege nach der Schärenhütte? Hatte sie in dem Städtchen an der Mündung des Elfs, wo sie mit ihrem Boote landete, sich bei Freunden länger aufgehalten, oder war sie, begünstigt durch den Wind und eine spätere Fahrgelegenheit das Lärdal herauf, ihm zuvorgekommen? Nach seiner Berechnung konnte sie doch kaum vor Abend an ihrem Ziele eintreffen.

Langsamer wurden seine Schritte – er vermochte ja die Straße weit aufwärts und abwärts zu übersehen. Was brauchte er sich jetzt noch zu übereilen? War Engelid noch nicht eingetroffen, so konnte sie einer Begegnung mit ihm nicht mehr ausweichen – befand sie sich aber schon bei dem Müller, so war es überhaupt zuspät.

Er erreichte die Kirche, den vielhundertjährigen Holzbau, welcher in seiner äußeren, mit Drachenköpfen geschmückten barocken Form an einen chinesischen Götzentempel erinnerte, oder vielmehr den wilden Geschmack der alten Nordlandsfahrer zur Schau trug. Die Straße führte an der niedrigen Mauer vorüber, welche die nächste Umgebung der Kirche einfriedigte. Auf einer Stelle derselben, wo er der Aufmerksamkeit der Vorübergehenden weniger ausgesetzt, ließ Knut sich nieder. Träumerisch spähte er nach dem freundlich gelegenen Mühlengehöft hinüber, hinter welchem der die Räder und Sägen treibende Elf über ein breites Wehr schäumte. Das von der Wohlhabenheit des Besitzers zeugende Wohnhaus betrachtete er gespannt, wie von dort her ein Zeichen erwartend, daß Engelid bereits anwesend und sich durch ein einziges Wort auf Lebenszeit an dasselbe gekettet habe. Mit Gewalt zog es ihn hinüber, und doch fehlte ihm der Muth, dieser Regung nachzugeben.

[410] Finster kehrte er sich dem seltsamen Bau wieder zu. Etwas Gespenstisches lag in diesen engen, niedrigen Säulengängen, deren wunderlich gekerbte Holzträger an Dauerhaftigkeit mit Granit gewetteifert hatten. Die Oeffnungen in den Thürmchen schauten, wie hohle Augen, bedächtig auf den stillen Wanderer nieder, und wie schadenfroh starrten die roh geschnitzten züngelnden Drachenköpfe von jedem Giebel gen Himmel. In Knut regte sich die Empfindung, als wollten die hölzernen Scheusale ihn verhöhnen, weil er einen Schatz, begehrenswerther als alle Wikingerbeute zusammengenommen, in seinen Händen gehalten, aber geringschätzig von sich geworfen hatte.

Es war ihm unheimlich im Schatten der alten Kirche. Er raffte sich auf und schritt auf das Mühlengehöft zu, zuerst langsam, dann schneller und schneller, wie um bald ein Ende mit den Zweifeln zu machen, die ihn nun schon seit beinahe zwei Tagen unablässig folterten. Unbekümmert um die ihn befremdet anstarrenden Arbeiter schritt er dem Hofe zu. Er trat in das Haus, in das Wohnzimmer. Auf der Schwelle blieb er stehen. Ornesen erkannte ihn auf den ersten Blick und rief ihm ein herzliches Willkommen zu. Er hingegen, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Engelid noch nicht anwesend, bebte zurück vor der Wandlung, welche im Laufe der letzten Jahre mit dem alten Manne vorgegangen war.

Da saß er, ein gebrochener Greis mit eingefallenen Wangen und dünnem, weißem Haar, auf einem Lehnstuhl, von welchem er sich augenscheinlich ohne fremde Hülfe nicht mehr zu erheben vermochte, und doch leuchtete helle Freude aus seinen trüben Augen, als er Knut’s ansichtig wurde und dieser endlich vor ihn hintrat und die ihm gereichte hagere Hand drückte.

Knut setzte sich neben ihn. Nachdem sie die ersten Begrüßungsfragen und Antworten ausgetauscht hatten, vermochte er nicht länger mit dem an sich zu halten, was sein Herz bis zum Zerspringen erfüllte.

„Ja, ich finde Dich verändert,“ gab er auf des Müllers traurige Fragen zu, „wenigstens anders, als ich erwartete Dich zu finden. Alle die langen Jahre hindurch in der Fremde hielt ich für möglich; daß Du Dir wieder ein Weib genommen haben möchtest, und da ich wußte, daß Du eine große Vorliebe für die Engelid hegtest –“

„Ja, ja, Knut, ich bot ihr an, meine Frau zu werden, die Frau eines alten Mannes freilich, aber auch seine Erbin, und war erstaunt, zu erfahren, daß sie einen Liebsten habe, dem sie treu bleiben wolle bis in den Tod.“

„Das sagte sie?“ fragte Knut fast athemlos vor Spannung.

„Ja, Knut,“ fuhr Ornesen fort, „und Mehr noch erstaunte ich, als sie Deinen Namen nannte und betheuerte, Du würdest zurückkehren und ihr Glück voll machen. O, ich achte das Mädchen hoch, und wer hätte nicht an ihr geachtet, daß sie, um allen Freiern aus dem Wege zu gehen, plötzlich aus der Gegend verschwand, daß die Leute glaubten, ein Unglück habe sie betroffen? Nur mir allein hatte sie anvertraut, wohin sie ging, und mir’s Wort abgenommen, darüber zu schweigen, damit Niemand sie aufsuche, und mein Versprechen hielt ich rechtschaffen vor Jedermann. Mit Dir ist’s ein Anderes; Du hast ein Recht, es zu erfahren; sie gebot, mir sogar, Dir den Weg zu zeigen, wenn Du sie noch nicht gefunden haben solltest. Zum alten Olaf, dem Spieler, wollte sie ziehen, auf die einsame Schäreninsel, um Dir dort ihre Liebe und Trauer ungestört zu bewahren. Ja, Knut, das ehrte ich an ihr, und wie’s mit mir stand, erfuhr sie wohl nie in ihrer Einsamkeit; sie wäre sonst gekommen, um nach mir zu sehen und ein paar freundliche Trostesworte an mich zu richten. Doch das ändert nichts an der Sache, und daß Du heimgekehrt bist, preise ich als ein Glück, schon allein um des treuen Mädchens willen.“

Aufmerksam hatte Knut den Worten des alten Mannes gelauscht, und als er endigte, hob er mit eigenthümlich zitternder Stimme an:

„Aber wie, wenn’s mit der Engelid’ und mir nichts wäre, sie sich dennoch in den Kopf gesetzt hätte, Dir eine treue Pflegerin zu sein?“

Ornesen blickte Knut mit seinen trüben Augen durchdringend an. Helle Freude leuchtete aus denselben, indem er nachdenklich sprach:

„Eine treue Pflegerin mag sie mir sein, Knut, aber nicht als meine Frau! Denn ich will mich an dem Mädchen nicht versündigen. Ja, das sollte mir ein rechter Herzenstrost sein, und da in meinem Hause noch Raum, für Dich wäre, und ich Jemand gebrauche, zum Rechten zu sehen, möchtest Du Dein Heimwesen im Lyster-Fjord d’rangeben und mit der Engelid Hochzeit machen, je eher, um so lieber!“

„Ich frage zum anderen Mal, Ornesen: wenn’s trotzdem mit der Engelid und mir nichts wäre?“

„Nach zehn langen Jahren des Wartens sollte es vorbei mit Euch sein? Ich glaub’s nicht, Knut. Doch sag’, wollt’ sie Dich damals nehmen?“

„Nun ja, aber damals war’s kein ordentliches Versprechen. Ob sie heut so denkt – wer weiß? Ich bin ein ernster mürrischer Mann geworden beim Seefahren, und das Lachen fällt mir schwer.“

„So gehört Ihr um so sicherer zu einander, Knut; denn die Engelid ist ebenfalls kein Kind mehr, und in der langen Einsamkeit mag auch ihr der Muthwille vergangen sein. Schon damals sprach aus ihren Augen ein rechter Mannesmuth. Doch bring mir das Mädchen, damit ich sehe, ob es sich veränderte!“

Knut blickte vor sich nieder. Die letzten Sonnenstrahlen waren nach den Plateaus hinaufgeglitten. Dort lagerten sie wohl noch ein Weilchen, bis das bereits unten im Thal herrschende feuchte Zwielicht ihnen nachfolgte. Bei jedem Geräusch, welches auf dem Gehöft hörbar wurde, bebte Knut erschrocken zusammen. In jedem Augenblick erwartete er, Engelid eintreten zu sehen, und dieser Gedanke beängstigte ihn.

„Ich muß hinaus,“ brach er nach einer längeren Pause, während welcher Ornesen ihn befremdet beobachtet hatte, das Schweigen, „bin nämlich über die Höhen gekommen, und der Kopf brennt mir vom schweren Steigen. Bin es nicht mehr gewohnt, wie früher. Ist Dir’s recht, kehr’ ich zur Nacht zurück, um mit Dir Brod und Salz zu essen und unter Deinem Dache zu schlafen.“

Nach kurzem Gruße trat er auf den Hof hinaus und auf einem Seitenwege begab er sich nach der Holzkirche hinüber. Dort setzte er sich hart an der Straße auf die Einfriedigungsmauer; denn hatte Engelid die Reise das Lärdal hinauf angetreten, so mußte sie, bevor sie nach dem Mühlengehöft abbog, hier dicht vor ihm vorüberschreiten.

[421]
5.

Die Straße war bereits menschenleer und abendstill geworden, und wie schlummernd lag das grüne, gigantisch begrenzte Thal vor dem einsamen Knut. Rauchsäulen entstiegen den Schornsteinen; hier und da weideten Rinder und kleine Gebirgspferde, oder sie lagerten bereits auf dem feuchten Rasen.

Dumpf brauste der Elf; es brausten die zahlreichen Gießbäche, die sich in jähem Sturz dem schäumenden Elf zugesellten, und wie ein gewaltiger, tief gedämpfter Orgelton erfüllte es den gewundenen Thalkessel; es klang wie geheimnißvolle Mär aus ferner Vergangenheit, aus jenen Zeiten, in welchen die schöne Ingeborg ihre Füße in den klaren Fluthen des Lärdalself kühlte und sehnsüchtig den Helden Frithjof erwartete.

Schattiger, dämmeriger wurde es ringsum, und im Dunkel verwischten sich allmählich die äußeren Formen der alten Holzkirche. Einem vielköpfigen Ungeheuer ähnlich lag sie vor dem träumenden Knut – da erklang es von der Straße her wie das Rollen eines Wagens. Um nicht von den Vorüberfahrenden angeredet zu werden, glitt Knut auf der Innenseite der Mauer zur Erde, sich mit Armen und Haupt auf die oberste Steinschicht stützend.

Näher kam das Gefährt. Die Dunkelheit hinderte ihn, die auf demselben Sitzenden zu erkennen, und im Geräusch der Räder verhallten die Stimmen der Daherfahrenden. Aber nun hielt der Wagen ihm gegenüber an.

„Sei herzlich bedankt!“ sagte eine Stimme, die Knut alles Blut zum Herzen trieb, und er gewahrte, daß von dem zweisitzigen Karriol eine Gestalt leichtfüßig zur Erde sprang, „die paar Schritte gehe ich schnell genug hinüber, und nochmals sei bedankt, daß Du mich so weit mitgenommen hast!“

„Dafür nicht, Engelid!“ antwortete es aus Männermunde, „es war mir eine Lust, Dir gefällig zu sein. Und nun gute Nacht! Grüße mir den alten Ornesen, und ich laß ihm gute Geduld und Besserung wünschen!“

Die Peitsche knallte; das Pferd zog an, und Engelid’s Gegengruß erstarb in dem Rollen des Wagens.

Knut stand wie gelähmt, die Blicke starr auf die hohe, schattenähnliche Gestalt gerichtet, welche ihre Röcke schüttelte und sich zum Gehen anschickte. Ihm war, als befände er sich angesichts eines ihn verurtheilenden Richters. Er entsann sich der spöttischen Reden, die er bei dem Gelage in der Schenke über Engelid führte, und schwerer, denn je zuvor, lastete auf ihm das Bewußtsein eines an ihr begangenen Frevels. Er meinte ihr nicht mehr gerade in die Augen schauen zu können.

Engelid hatte sich einige Schritte entfernt, als er endlich seiner Sprache wieder Herr wurde. Gedämpft, um sie nicht zu erschrecken, jedoch mit dem Ausdrucke heimlicher Angst rief er sie bei Namen. Engelid blieb stehen; sie hatte die Stimme erkannt, aber sie war so bestürzt, daß sie keine Antwort zu ertheilen vermochte. Sobald sie indessen bemerkte, daß ein Mann sich über die Mauer schwang und auf sie zuschritt, gewann sie ihre volle Besonnenheit zurück. Sie ging Knut entgegen und fragte in ihrer ruhigen freundlichen Weise, ob er es wirklich sei, und wie er es angestellt habe, ihr zuvorzukommen.

„Ueber die Berge bin ich gewandert,“ versetzte Knut heftig erregt, „ich wollte, ich mußte Dich sprechen, bevor Du zu dem Ornesen gingst. Es quälte mich, daß ich Dir die letzten Tage und Stunden vergällte, Du mit heimlichem Zorn, wohl gar mit Verachtung meiner gedächtest. Ja, Engelid, und da setzte ich meine ganze Kraft daran, Dich um Verzeihung zu bitten, weil ich Dir so wehe gethan –“

„Womit solltest Du mir wehe gethan haben?“ fragte sie sanft und tröstlich.

„Engelid,“ stieß Knut hervor, „ich war drüben beim Müller; der hat mir Alles anvertraut – Alles weiß ich, jedes Wort, welches Du einst zu ihm sprachst von Deiner Liebe und Deiner heiligen Treue – Engelid – darum martert’s mich jetzt um so peinvoller.“

„Verrieth er Dir mein Geheimniß, so sagte er wohl nicht mehr, als Du vielleicht bei unserem ersten Wiedersehen in meinen Augen lasest,“ versetzte Engelid etwas leiser, „denn die Augen haben wir Menschen nicht in der Gewalt, wie die Zunge. Und was sollte ich mich dessen jetzt noch schämen, wenn die junge einfältige Engelid sich über die Gebühr mit Hoffnungen trug! Ein Unrecht war’s nimmer. Mit Deiner Ehrlichkeit aber kränktest Du mich am wenigsten. Du gabst mir zu verstehen, gleichviel ob mit gutem Willen oder ohne Wissen, daß wir nicht zu einander gehörten, und das dank ich Dir von Herzen; denn es war besser, zwischen uns keine Täuschung walten zu lassen, als nachträglich zu bereuen, wenn’s zur Umkehr zu spät gewesen wäre.“

„Alles möchtest Du mit Deiner Sanftmuth zudecken,“ erwiderte Knut zerknirscht, „und gerade das brennt mir auf dem Gewissen, wie lebendiges Feuer. Wär’s mir doch lieber, Du begegnetest mir mit bitterem Vorwurf, wie ich’s verdiene; denn ich kränkte Dich dennoch – freilich: ich konnt’s nicht ahnen, daß Du noch einmal mein Haus betreten würdest – Du hast gesehen, daß ich den Kranz zerknitterte, auf die Erde warf und verbrannte sammt allen Kräutern, als ob er von unehrlichen Händen herrührte.“

[422] „Nein, Knut, so hab’ ich’s nicht aufgefaßt. Als ich hörte, daß Du im Kreise alter Freunde das Wiedersehen feiertest, fuhr’s mir durch den Kopf, daß Du wohl spät heimkehren möchtest und kein Licht fändest. Ich ging daher, Dir Alles zur Hand zu stellen für die erste Nacht. Und dann – ich hatte den Kranz auf Dein Kopfkissen gelegt, und das geschah zu einer Zeit – mich hindert ja nichts mehr, frei darüber zu sprechen – als ich noch an unsere gemeinschaftliche Zukunft glaubte, den aber wollt’ ich entfernen, bevor Du ihn fändest. Leider war’s zu spät. Du hattest ihn verbrannt, ebenso die Blätter und Zweiglein, sonst wär’s von mir geschehen, denn der Duft war zu strenge, um dabei zu schlafen, ohne im Kopf benommen zu werden. Das ist Alles, Knut. Hättest deshalb den beschwerlichen Weg über die Berge nicht zu machen brauchen.“

Knut, welcher Engelid’s Hand noch immer hielt, hatte die gleichsam willenlos Folgende nach der Mauer zurückgeführt, wo er sie neben sich auf einen Stein zog.

„So glaubst Du nicht,“ fragte er zaghaft, „daß auch noch andere Dinge mir keine Ruhe ließen, bis ich Dir wieder begegnete? Glaubst wohl gar, daß in den langen Jahren des Seefahrens mein Herz so hart geworden, wie der Stein, auf welchem wir hier sitzen, und daß es mir einerlei, ob Du Dich einem zwar guten, aber kranken, hinfälligen Greise zu eigen giebst?“

Da richtete Engelid sich ein wenig höher auf, und mit eigenthümlicher Festigkeit sagte sie:

„Ist er krank und hinfällig, so soll es mir eine Freude sein, ihm seinen Lebensrest so erträglich und bequem wie möglich zu gestalten.“

„Auch dann, wenn er sich standhaft weigert, Dein junges frisches Leben durch den Segen des Herrn Pfarrers an sein Krankenbett zu fesseln?“

„Auch dann, Knut, und zwar um so lieber, weil’s nicht den Verdacht erweckt, als hätte ich irgend einen Vortheil von ihm erwartet. Stirbt er und ich bin wieder allein, so steht meine Schärenhütte auf, in welcher der Nielsen so lange zum Rechten sehen mag.“

„Aber wie, Engelid – ich wag’s kaum auszusprechen – wenn ich mich selber und Dich getäuscht hätte? Wenn ich Dich bäte: vergiß meine Härte beim ersten Wiedersehen und die Verbitterung, die ich von draußen mit hereinbrachte, vergiß, daß ich Dich kränkte! Komm, Engelid, das Wort, welches ich Dir einst bei Spiel und Tanz gedankenlos gab, es soll mir heilig sein. Komm, Engelid, ziehe mit mir in mein Haus ein, wie’s Dir vorschwebte alle die langen Jahre hindurch –“

„Nein, Knut, nicht weiter!“ bat Engelid freundlich, jedoch entschlossen und ohne ihm die Hand zu entziehen, „wenn Du das, was Du eben sagtest, mit heiligen Eiden bekräftigtest, so würde ich Dir antworten. Nicht auf der Schäreninsel, nicht auf der Fahrt nach dem Lyster-Fjord und in Deinem Hause täuschtest Du Dich über Dich selbst – nein, Knut, ich las es in Deinen Augen, hörte es aus Deiner Stimme – mögen Worte nicht immer zuverlässig sein. Jetzt aber in dieser Stunde täuschest Du Dich. Es ist nur Freundschaft, was aus Dir spricht. In Deiner Freundschaft bemitleidest Du mich. Du glaubst, ich ginge einem trüben Schicksal entgegen. Das aber wäre keine Bürgschaft für unsere beiderseitige Zufriedenheit. Das Gefühl, nur aus Mitleid an Deinem Herde geduldet zu werden, würde mich nie verlassen. Ich würde unglücklich sein und damit Dein eigen Glück in den Staub ziehen. Doch laß uns nicht weiter darüber reden! Ich fühle mich ruhig in meinem Gewissen. Ist’s aber kein glänzendes Sonnenlicht, das mir auf meinem Lebenswege leuchtet – nun, so mag’s der milde Schein des Nordlichts sein, wie er unsere langen Winternächte oft genug erhellt. Du hingegen findest anderweitig ein dauerndes Glück – das bezweifle ich nicht, und höre ich jemals davon, soll’s mir sein wie ein goldener Strahl, der sich in unsere düsteren Fjorde verirrt.“

Sie wollte sich erheben, als Knut sie mit sanfter Gewalt zurückhielt.

„Höre nur noch ein Wort, Engelid!“ hob er erregt an, „höre mich so aufmerksam an, wie ich Deiner Erklärung lauschte! Dann magst Du selber urtheilen ob ich’s verdiene, nach den vielen Jahren und nachdem ich die Heimath kaum betrat, wieder hinausgetrieben zu werden. Im langen Verkehr mit rauhen Gesellen mag ich selber rauh geworden sein, mag eigensinnig an dem einmal ausgesprochenen Wort, und wär’s noch so unbesonnen, hängen, als wäre ich damit verwachsen, aber falsch und lieblos bin ich nicht geworden, Engelid. Als Du mich auf der Schäreninsel begrüßtest, wie Deinen Bräutigam – und so erschien’s mir ja – da verdroß es mich, daß ich, ohne es selbst gewußt zu haben, Jemandes Eigenthum sein sollte. Denn an die letzte Nacht im Lyster-Fjord und die losen Reden zwischen uns Beiden hatte ich lange nicht mehr gedacht. Deine guten Worte machten mich störrisch, und es war mir eine grausame Lust, Dir wehe zu thun. Wir setzten uns aus einander. Freundlich und ohne Klage führtest Du mich in mein Haus, und legtest Du Rechenschaft ab für den todten Olaf und für Dich. Versöhnlich, wie eine Schwester, sagtest Du mir Lebewohl. Du schiedest, und dennoch bliebst Du bei mir. Wo ich ging und stand, schwebtest Du mir vor. Im Kreise lustiger Gesellen wie in meiner stillen Wohnung, überall störtest Du mein Gewissen, und das war mir ein neuer Verdruß. Ich meinte, wie der Olaf mit seinen Runen, so hättest Du es mit Zaubermitteln mir angethan, daß ich keine Ruhe mehr fand. Mit Gewalt wollte ich die Erinnerung an Dich aus meiner Seele reißen. Doch ob ich Kranz und Kräuter verbrannte, der Zauber wollte nicht weichen – Engelid, ich meine den Zauber Deiner Sanftmuth, Deiner Treue, Deiner Ergebung. Hätte ich gestern Morgen die Zeit nicht wie ein unmäßiger Schwelger verschlafen, so wäre vielleicht alles noch gut geworden. Nun aber, da Du gegangen, war’s mit meinem Trotz zu Ende. Es raste in meinem Kopfe; es raste in meinem Blute, und da bedurfte es nicht langen Sinnens und Prüfens, daß ich mich Dir nach auf den Weg begab. Ich mußte Dich treffen, bevor das letzte bindende Wort gesprochen war. Was ich auf dem Wege hierher litt, weiß nur ich allein. Als ich von Ornesen erfuhr, Du seiest noch nicht dagewesen, da betrachtete ich das als ein gutes Zeichen. In meinem Gehirn aber brannte und loderte es, daß ich wieder in’s Freie hinaus mußte, um Dich hier zu erwarten, und das war mir ein neuer Beweis, daß wir zu einander gehören. Nun sag’ mir aufrichtig, Engelid, ist das noch nicht genug, Dein Mißtrauen – ich verdien’s freilich – zu besiegen, Deinen Widerstand zu brechen? Nicht genug, eine freundliche Hoffnung, die Du zehn lange Jahre mit Dir herumtrugst und die so plötzlich schlafen gegangen, auf’s Neue zu wecken?“

„Nein, Knut,“ antwortete Engelid fast strenge, „Deine Reden überzeugen mich nicht, können mich nicht überzeugen. Du sprichst in einer gewaltigen Aufregung, und in dieser Aufregung hast Du Deinen klaren Blick verloren. Ich aber kenne Dich besser, als Du Dich selbst; denn seit unserem ersten Wiedersehen bin ich wohl zwanzig Jahre älter und besonnener geworden. Wenn ich Deinem Drängen nachgäbe, würdest Du es später bereuen.“

„Engelid!“ rief Knut leidenschaftlich, „so hast Du mich nie geliebt, und den Ornesen hast Du mit Deinen Worten getäuscht!“

„Doch, doch, Knut! Ich habe Dich treu geliebt und werde Dich lieben bis zu meinem letzten Athemzuge, aber gerade deshalb sage ich Dir: mein Wille ist so fest, wie die Felsen ringsumher, und schmerzlich, wie es mir ist, es auszusprechen jetzt kann ich Deine Frau nicht mehr werden – nein, Knut, ich liebe Dich zu sehr.“

„Ist das Dein letztes Worten fragte er, und indem er sich erhob, durchströmte ihn Eiseskälte.

„Mein letztes Wort, und die Zeit wird kommen, in welcher Du meinen Entschluß segnest.“

„So höre denn auch das meinige,“ fuhr er fort, und seine Stimme klang hart, „so bist Du es, die mich zum zweiten Mal aus dem heimatlichen Fjord in die weite Welt hinaustreibt. Ja, Engelid, ich gehe, denn ich könnte es nicht ertragen, Dir noch einmal zu begegnen und mir bei Deinem Anblicke vorzuwerfen, daß ich Dich vermessen von mir stieß, statt Dich in meine Arme zu nehmen und Dich zu achten und zu halten als mein höchstes Gut. Ja, ich gehe wieder auf’s Meer hinaus, wo nichts mich an das gemahnt, was ich hier verlor. Da – blicke hinauf zu den Sternen! So unabänderlich die ihre alten Bahnen wandeln, so unabänderlich drüben der Elf tost und braust und die Gießbäche ringsum zu ihm niederschäumen ebenso unabänderlich fest steht mein Entschluß. Lieber einen schnellen Tod durch einen Sturz in’s Meer, wenn meine Zeit gekommen, oder mit dem sinkenden Schiff hinab in die Tiefe, als mich hier Jahr um Jahr in Pein und Qual abzuzehren. Lebe wohl, Engelid! Wo auch immer es sei: mein letzter Gedanke soll ein frommer Segensspruch für Dich sein. Den Hausschlüssel [423] laß’ ich stecken oder ich schiebe ihn oberhalb des Eingangs zwischen Balken und Mauerwerk. Führt Dein Weg Dich vorüber, so nimm ihn an Dich! Magst auch hineingehen und Alles schmücken, aber nicht mit heilsamem Kraut und Tannenzweigen, sondern mit Rosmarin, wie für einen Todten. Kannst den öden Bau zerfallen lassen, mir ist’s einerlei – mich sieht der Lyster-Fjord nicht wieder.“

Er kehrte sich ab und schritt davon. Schwer, wie unter einer unerträglichen Bürde, berührten seine Füße die staubige Straße. Es war, als ob ein Schlag ihn halb betäubt hätten; denn statt die Richtung nach Lärdalsörne einzuschlagen, bewegte er sich dahin, wohin sein Antlitz stand, woher er nach seinem Besuch bei dem Müller gekommen war. Die Hälfte des Weges nach dem Gehöfte hatte er schon zurückgelegt, als er seines Irrthums inne wurde.

Er blieb stehen und sah zurück. Engelid folgte ihm in einiger Entfernung, und wie ein schwarzer Schatten hob ihre Gestalt sich von der ein wenig lichteren Umgebung ab. Um keinen Preis hätte er ihr noch einmal begegnen mögen. Er sagte sich, daß auch ihr ein neues Zusammentreffen peinlich sein müsse, sie aber nimmermehr mit ihm zugleich unter Ornesen’s Dach weilen würde, wohin er doch seine Schritte lenkte. Um ihr den Wahn zu rauben, daß er sie erwarte, setzte er mit beschleunigter Eile seinen Weg fort; statt indessen nach dem Gehöfte hinaufzugehen, bog er eine kurze Strecke vor demselben ab, die Richtung einschlagend, welche ihn nach dem Wehre hinführte. Auf der andern Seite des Elfs lief ebenfalls ein Weg neben demselben hin, um dahin zu gelangen, brauchte er nur das Wehr als Brücke zu benutzen. Was galt es ihm, daß dasselbe nur aus Planken bestand, die von einer Anzahl in das Flußbett tief eingerammter Balken gehalten wurden? Was galt es ihm, daß der Elf sein Wasser in breitem Strahle über das Wehr hinweg in einen schäumenden Trichter hinabsandte? Was galt ihm das Tosen und Brausen oberhalb und unterhalb, ihm, der so oft auf schwankem Taue dem Andrang des Orkans wie der auf ihn hereinbrechenden Sturzsee zugleich Widerstand leistete? Und was galt es ihm endlich, wenn er, in den schäumenden Strudel hinabgerissen, tief unten zwischen den Geröllblöcken zermalmt wurden? Es war nichts Aergeres, als er überhaupt über kurz oder lang erwartete, und je schneller das Verhängniß über ihn hereinbrach, um so früher fand er Ruhe.

Vor dem Wehre angetroffen, betrachtete er dasselbe ein Weilchen scharf, um seine Augen mit der Richtung der Planken vertraut zu machen und sich zugleich an die durch den weißen Schaum unterhalb des Wehrs veränderte Beleuchtung zu gewöhnen. Dann nahm er ein zur Hand liegendes schmales Bret, und dasselbe als Stütze benutzend, schritt er auf der kaum drei Finger breiten Bahn nach dem nächsten Balkenpfosten hinüber, der ein wenig über den abwärts gleitenden Wasserstrahl hinausragte. Auf diesem blieb er wieder stehen, um die Strecke bis zu dem nächsten Pfosten hinüber mit den Blicken zu prüfen. Was hinter ihm vorging, sah er nicht, noch weniger hörte er bei dem ihn umringenden Brausen, daß flüchtige Schritte sich vom Hofe her näherten und eine kurze Strecke unterhalb des Wehrs auf dem äußersten Uferrande verstummten. Und durch das ihm bis halb zu den Knieen hinaufspülende Wasser schritt er weiter auf dem schmalen Stege. Engelid’s Blicke folgten ihm mit Todesangst, und mit angehaltenem Athem neigte sie sich weit über die zu ihren Füßen brandenden Fluthen hinab.

Ein leises: „Gott sei Dank!“ entwand sich ihren Lippen, als sie ihn auf dem zweiten Pfosten festen Fuß gewinnen sah, aber noch sechs Pfosten lagen vor ihm, und zwischen diesen ebenso viele Plankenwände, von welchen die leiseste Störung des Gleichgewichtes ihn in den brausenden Gischtkessel hinabsenden mußte.

So erreichte er den dritten, den vierten Pfosten, und nun stieg er mit dem einen Fuße abermals hinab, und nach kurzer Prüfung des schmalen überspülten Steges zog er auch den andern nach sich. Es war dies die Schleußenpforte, welche bei allzu schwerem Andrange der Fluthen aufgezogen werden konnte und zwar mittelst von beiden Ufern aus hinüberreichender Schwebebalken. Während der nächsten Schritte hielt er sich an der ersten der vor den Schwebebalken niederhängenden Ketten. Drei weitere Schritte mußten ihn in den Bereich der zweiten bringen. Doch kaum hatte er die Hand von der ersten Kette zurückgezogen, als plötzlich die unter seinen Füßen befindliche Planke, wohl durch den Bruch weniger verrosteter Nägel, nachgab und sich zur Seite neigte. Eine Sekunde kämpfte er um’s Gleichgewicht. Durch einen Sprung suchte er die andere Kette zu erreichen, aber von den in verstärktem Maße hereinbrechenden Fluthen wurden die Füße unter ihm fortgezogen, und im nächsten Augenblicke verschwand er unten in dem Schaumkessel.

Ein durchdringender Schrei zitterte über das Gehöft hin, und hülferufend eilte Engelid eine kurze Strecke stromabwärts, wo das Ufer sich fast bis zudem auf dieser Stelle nur über Geröll hintobenden Flusse hinab senkte. Gleich darauf trafen die Müllerknechte bei ihr ein. Mit gutem Rathe waren alle bereit, sobald sie Kunde von dem grausigen Ereignisse erhielten, doch was galt Engelid jetzt noch Rath! Was sollten Stangen und Taue, während jede neue Secunde über Leben und Tod entscheiden konnte! „Eine lebendige Kette!“ – dieser Gedanke war es, der wie ein Blitz Engelid’s Geist durchzuckte, und fast ebenso schnell stand sie bis an die Hüften in dem wirbelnden Wasser, gehalten von einem Manne, der ihr ungesäumt nachfolgte und dem andere, so viele ihrer da waren, die Fäuste eng in einander verschränkt, sich anschlossen. Und so war in fast verschwindend kurzem Zeitraume in der That eine lebendige Kette geschaffen, welche bis über die Mitte des wüthenden Elfs hinausreichte, vom Ufer aus aber noch, um sie zu verlängern, durch ein Tau gehalten wurde.

Eine grauenvolle Minute folgte, indem die Kette sich unter Aufbietung der äußersten Kräfte stromaufwärts dem Wasserfall zu bewegte und Einer dem Andern rieth, sich aufrecht zu erhalten, nicht im festen Griffe der Hände zu ermüden. Nur über Engelid’s Lippen kam kein Laut. Allen voraus, die nächsten Nachbarn sogar nach sich ziehend, als ob ihre Kräfte sich verzehnfacht hätten, kämpfte sie der Strömung entgegen. Das Wasser selbst, welches ihr nur wenig über die Kniee reichte, hinderte trotz des heftigen Anpralls weniger, als die Geröllblöcke, über welche die Fluthen schäumend hinbrandeten.

Knut konnte sich nur auf dem zwischen Kette und Wasserfall sich ausdehnenden, verhältnißmäßig kleinen Flächenraume befinden. Aber wer sagte ihr, ob er sich beim Hinabstürzen nicht tödlich verletzte? Wer, ob er nicht in dem unterhalb des Wehrs von den kämpfenden Fluthen ausgewühlten Trichter festgehalten wurde oder ob der gischtgefüllte Schlund ihn nicht bereits ausgespieen?

Und weiter kämpfte Engelid gemeinschaftlich mit den Gefährten auf den Wasserfall zu, bis endlich die Schaumballen ihr bis zur Brust hinaufschlugen und sie sich kaum noch aufrecht zu halten vermochte.

„Es ist vergebens,“ hörte sie einen der schwer arbeitenden Männer den Gefährten zurufen.

„Nicht vergebens!“ herrschte sie den Leuten zu, daß ihre Stimme das Poltern und Tosen des Wassers übertönte. „Ich muß ihn finden, und wäre ich gezwungen, tief unten in dem Trichter nach ihm zu suchen –“

Plötzlich entwand sich ein unbeschreiblicher Ausruf, in welchem Entsetzen und tiefe Herzensfreude sich einten, ihrer Brust, und mit der freien Hand vor sich in’s Wasser hinabgreifend, tastete sie einige Augenblicke umher. Da sie selbst in dem Hauptcanal des Stromes stand, war Knut gerade vor sie hingeschoben worden. Wie ein elektrischer Strom erschütterte es sie bei seiner ersten Berührung, und als sie darauf sein Handgelenk umspannte, da fragte sie nicht, ob noch Leben in ihm wohne, oder ob er dem wüthenden Elf nur entrissen wurde, um demnächst sein Grab in der Nachbarschaft der alten Borgundkirche zu finden. Sie hielt ihn, und das galt ihr als gleichbedeutend mit Rettung; sie fühlte seine Hand in der ihrigen und meinte, ihn allen Mächten des Himmels und der Erde abstreiten zu können.

Ihn mit der einen Hand über Wasser zu heben, fehlte ihr die Kraft, und so begann denn auf ihren Zuruf ein neues gewaltiges Ringen mit dem erzürnten Element, bis andere kräftige Arme sich ihr zugesellten und Knut behutsam nach dem Ufer hinaufgehoben wurde.

Regungslos lag er da. Eine herbeigebrachte Kienfackel beleuchtete ein Bild des Todes. Doch die Verzweiflung, welche sich Engelid’s bei diesem Anblick bemächtigte, erschütterte nicht die geisterhafte Ruhe, störte nicht die Umsicht, mit welcher sie selbst die Wiederbelebungsversuche leitete, indem sie zugleich das Blut forttrocknete, das einer schmalen Wunde auf Knut’s Stirn entströmte, und immer wieder die Hand auf sein Herz legte.

Endlich brach sie, wie bis zum Tode erschöpft, zusammen. „Er lebt,“ flüsterte sie den neben ihr beschäftigten Männern [424] zu, „nun tragt ihn hinein zum Ornesen und sorgt, daß er in ein Bett kommt!“

Pünktlich wurde ihr Befehl ausgeführt. Die Männer waren längst mit ihrer Last in dem Wohnhause verschwunden – da saß sie noch immer auf dem Ufer des Elfs. Sie konnte sich nicht fassen. Heiße Thränen entstürzten ihren Augen; ihr Herz pochte gewaltig, als hätte es die übervolle Brust zersprengen wollen. Als sie aber bald darauf dem Hause zuschlich, da meinte sie, daß die Sterne erhöhten Glanz erhalten hätten. Aus dem Rauschen und Brausen ringsum drang es wie Liebesgrüße zu ihr herüber.

Eine Stunde war verronnen, da saß Engelid neben Knut’s Lager, beim düsteren Schein einer verschleierten Lampe seinen Schlaf, in welchen die Betäubung allmählich übergegangen war, mit ängstlicher Spannung überwachend.

Endlich schlug er die Augen auf. Befremdet sah er um sich. Er schien Engelid nicht zu kennen.

„Das war ein schrecklicher Sturz,“ sprach er tief aufseufzend.

Da neigte Engelid sich über ihn hin, zugleich das Haar von seiner wunden Stirn zurückstreichend.

„Knut,“ sprach sie mit ihrem tiefen, vor Wehmuth zitternden Organ, „es hat Alles so kommen sollen, und wenn Du’s gern hörst, so gesteh’ ich’s noch lieber ein: Dein Unglück hat mir meinen Weg vorgeschrieben; ich kann nicht von Dir lassen,“ und heftiges Schluchzen drohte ihre Stimme zu ersticken, „wohin Du auch gehst – ich folge Dir: in den Lyster-Fjord oder auf’s Meer hinaus. Und hättest Du nichts für mich übrig, als ein wenig Freundschaft, ich wollt’s hinnehmen als ein Geschenk vom Himmel.“

Wie seiner Sinne noch nicht mächtig, starrte Knut zu Engelid empor. Ein Weilchen schienen seine Gedanken nach Klarheit zu ringen, mit der Erinnerung an die jüngsten Ereignisse zu kämpfen. Dann schlang er seinen Arm um ihren Nacken und, ihr Antlitz näher an das seinige ziehend, sprach er tief bewegt:

„Soll ich denn mein Herz aus der Brust schneiden, um Dir zu zeigen, daß nichts in demselben wohnt, als einzig und allem die Liebe zu Dir?“

Engelid küßte ihn zärtlich.

„Nun beruhige Dich, mein Herzliebster!“ floß es unbeschreiblich innig von ihren Lippen, „ich gehe jetzt, um Ornesen hereinzuhelfen. Er wollte gerufen sein, sobald Du erwachtest. Auch nach einem Arzt schickte er, aber der wird jetzt wohl überflüssig sein.“

Noch einmal küßte sie ihn, und geräuschlos verließ sie das Zimmer. Schlafen sollte Knut, allein es gelang ihm nicht. Als der Tag anbrach, saßen Engelid und Ornesen noch immer neben seinem Bett. Wie man liebliche Blumen heiteren Sinnes zu einem Festkranze an einander reiht, so entwarf er gemeinschaftlich mit ihnen die Pläne für die Zukunft.



  1. Langeleike – ein im Norden gebräuchliches citherartiges Instrument.