In der Puppenausstellung
[868] In der Puppenausstellung. (Mit Illustration S. 853.) Kurz vor Weihnachten werden in größeren Städten Puppenausstellungen veranstaltet, die entweder in dem sogenannten Weihnachtsbazar nur die Lust zum Kaufen beim Publikum erwecken sollen, oder auch „höheren Zwecken“, das heißt der Hebung und Vervollkommnung der Puppenfabrikation dienen.
Da sehen wir „Modedamen“, Figuren von 1 Meter Höhe; bekleidet mit den kostbarsten Stoffen, Spitzen und Hüten, repräsentiren sie die neueste Pariser Mode, blicken stolz in die Welt hinein, sind aber für die Kleinigkeit von 200 bis 250 Mark verkäuflich. Ein eben so beliebter, wie vielfach vertretener Typus ist die „Braut“; sie trägt natürlich weißen Atlas, eine Schleppe, Myrthenkranz und wolkigen Schleier.
Da giebt’s ferner Gruppen wie z. B. „Brüderchens erster Geburtstag“, die ein wahres lebendes Bild darstellen. „Zu früh erwacht“ nennt sich ein plastisches Genrebild, wo ein goldlockiges Büblein am Weihnachtsmorgen neugierig aus seinem Bettchen schaut, noch ehe die Mama das Anzünden der Kerzen am Tannenbaum beendet hat.
Während die geschilderten Puppentypen im Allgemeinen dem Anschauungskreise der Kinder entsprechen, treten andere Gestalten, die jetzt Mode geworden sind, aus demselben heraus. Da steht die „Königin Elisabeth von England“ neben „Marie Antoinette“, „Prinzeß Turandot als Salonschäferin“ in trauter Gesellschaft der „Frau Rath Goethe“, der Mutter unseres großen Dichters u. s. w.: alle in historisch getreuen Trachten trefflich geeignet als Lehrmittel in der Kostümkunde, aber wohl nicht als harmloses Kinderspielzeug. Nur zögernd trennen sich die Kleinen von den Puppen; uns Großen wird der Abschied leichter, wir nehmen unsere Töchterchen bei der Hand und denken triumphirend: habt ihr doch lachende Gesichter und warmes Herzblut, während in den Bälgen eurer glasäugigen, ernsten Abbilder nur „Seelen“ von eitel Roßhaar und Sägespänen wohnen.