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Kufstein

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Textdaten
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Titel: Kufstein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 532
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[532] Kufstein. (Mit Abbildung.) Zwiespältige Empfindungen erweckt der Klang des Namens Kufstein. Ein liebliches Bild steigt vor uns auf, ein breiter, belebter Thalgrund, von bläulich milchigem Strom durcheilt, umrahmt von den waldreichen Höhen des Gebirgs, mitten inne auf luftigem Felsenthrone eine malerische Feste – dazwischen aber drängt sich die Erinnerung an einen unbehaglichen großen Raum mit Reisenden aller Nationen in allen Kostümen, aufgerissene, durchwühlte Koffer, befehlende Beamten- und aufgeregte Frauenstimmen, ein tolles Dnrcheinander, eingetaucht in jenen spezifischen Bahnhofduft von Ruß und kaltem Rauch – die Zollstation. Denn Kufstein liegt hart an der bayerisch-österreichischen Grenze, und wer aus dem Bayerischen kommt, der muß sich in Kufstein von den wachsamen Hütern des österreichischen Gesetzes auf Herz und Nieren, beziehungsweise auf Cigarren und anderes Zollpflichtige prüfen lassen.

Kufstein.
Nach einer Zeichnung von O. Strützel.

Heute machen wir eine Gedankenreise – und Gedanken sind bekanntlich zollfrei. Unbehelligt wandern wir daher vom Bahnhof auf der linken Seite des Inn und hinüber über die eiserne Brücke, die in zwei mächtigen Bogen den Strom überspannt. Und gleich hinauf zur trotzigen Feste Geroldseck. Sie hat ihren kriegerischen Beruf längst an den Nagel gehängt und öffnet dem Fremdling gastlich ihre Thore, sie nimmt ihn wie ein Kind auf ihre Schultern, um ihm die schöne Aussicht rings zu zeigen. Die Geschichte dieser Burg ist im wesentlichen die Geschichte der Stadt, obwohl diese älter zu sein scheint als jene. Man weiß, wie im Mittelalter und bis an die Pforten der neuesten Zeit heran Land und Leute die Besitzer wechselten. Erbschaft, Heirath, Schenkung und Krieg verschoben jahraus jahrein die Grenzen, Städte, Burgen und Landschaften fielen durcheinander wie die Steinchen im Kaleidoskop – immer wieder ein anderes Bild! So ist auch Kufstein viel zwischen bayerischen und tirolischen Herren hin und hergeworfen worden.

Etwas Dauer gewannen die Verhältnisse durch den Vertrag von Schärding (1369), der unseren Platz auf anderthalb Jahrhunderte in bayerische Hände brachte. Es war das eine Zeit tüchtigen inneren Aufschwungs für die Unterinnthaler Orte, so auch für Kufstein. Schon früher hatte diesem Kaiser Ludwig der Bayer einträgliche Zollrechte verliehen, unter Markgraf Ludwig von Brandenburg kamen allerlei Marktgerechtigkeiten dazu, und nun gewährte der Herzog Stefan von Bayern 1373 gar noch Steuerfreiheit! Kein Wunder, daß sich die so mit Privilegien gesegneten Bürger Schätze genug sammelten, um sich den Luxus einer festen Ringmauer gestatten zu können, denn eine solche muß gestanden haben, als Herzog Stefan in einer Urkunde aus dem Jahre 1393 den Ort Kufstein feierlich mit der Bezeichmlng „Stadt“ beehrte. Dieser Fortschritt in der Geschichte Kufsteins erschien wichtig genug, jetzt nach genau einem halben Jahrtausend durch festliche Veranstaltungen im Gedächtniß der Bewohner aufgefrischt zu werden.

Wir wollen die Geschichte Kufsteins nicht im einzelnen weiter verfolgen. Mehrmals noch ging es in den kriegerischen Jahrhunderten von Kaiser Maximilian I. bis zur Napoleonischen Zeit aus bayerischem Besitz in österreichischen, von diesem in bayerischen über, bis es nach der Neuordnung aller europäischen Verhältnisse durch den Wiener Kongreß dauernd bei Oesterreich verblieb und nun auch wieder die Ruhe fand, um die

schweren Schädigungen aus den Zeiten der Noth und Drangsal zu verwinden. Die mancherlei Belagerungsschrecken, wie die Hinrichtung des zähen Kommandanten Hans Pinzenauer und seiner Getreuen durch Kaiser Maximilian, die Explosion des Pulvermagazins der Burg im spanischen Erbfolgekrieg, sie bilden heute einen dankbaren Einschlag in die Erzählungen der einheimischen Cicerone. Zoll- und Mauthrechte der Stadt sind gefallen, aber ihre herrliche Lage ist ein unveräußerliches Privilegium, dem kein Kaiser und kein Staatsvertrag etwas anhaben kann. Jahraus jahrein sammeln sich hier in den Sommermonaten zahlreiche luftbedürftige Scharen, sie zerstreuen sich in die lieblichen Thäler, steigen hinauf auf die Zinnen des Kaisergebirgs, um erfrischt und gekräftigt heimzukehren an die Stätten ihrer Berufsarbeit. Und mancher wandert wohl auch hinaus zu dem stillen Friedhof am Fuße des Kalvarienbergs, dort das Grab zu besuchen, in dem „Deutschlands Friedrich List“ nach einem stürmischen Leben die letzte Ruhe fand.