Wie ich Schriftstellerin wurde
Wie ich Schriftstellerin wurde.
Vielleicht lag mir dieser Beruf im Blute. Seit Generationen ist in den Familien, denen ich entstamme, mit Tinte und Feder hantirt worden, hauptsächlich – da meine sämmtlichen Angehörigen Juristen und Theologen waren und sind – zu wissenschaftlichen Zwecken. Die Vorfahren meiner Mutter haben manches Buch in die Welt hinaus gehen lassen, und mein Vater war eine leichtbeschwingte poetische Natur; er bedurfte nichts als einer guten Cigarre, um die hübschesten Gelegenheitsgedichte aus dem Aermel zu schütteln.
Auf dem welligen Landstriche, der zwischen Thüringer Wald und Harz sich hinzieht, sind wir zu Hause. Meines Vaters Heimath war die kleine Residenzstadt Sondershausen, und er besaß den heitern Geist und den ganzen schlagfertigen Witz, der den Bewohnern dieser Stadt eigen ist; meine Mutter ist eine echte Tochter Arnstadts, mit ernstem Sinn, starker Arbeitskraft und gern spinnender Phantasie begabt. In Sondershausen bin ich als einziges Kind meiner Eltern geboren und immer wieder nach kurzen Abwesenheiten dahin zurückgekehrt.
Umgeben von Büchern wuchs ich auf. Vor der Polyglotte, deren neun Sprachen der gelehrte Großvater meiner Mutter kundig gewesen war, und vor dem Corpus juris in meines Vaters Bücherschrank wurde mir frühzeitig Ehrfurcht eingeflößt. Aber ich durfte mich an den Darstellungen im alten Evangelienbüchlein erfreuen, in welchem Satanas vierbeinig und gehörnt Unkraut unter den Weizen säete, und es wurde mehr gelacht als gestraft, als ich das Werk des alten Hexenrichters Carpzow zum Schlitten degradirt hatte, indem ich einen Strick um seinen dicken Leib band. Von meinem Spielzeug war mir das liebste ein großes Theater mit vielen prächtig geputzten Puppen vom Kaiser im Purpurmantel bis zum Bauern in Hemdärmeln.
Ich lief noch in meinen ersten feuerrothen Schuhen umher, als mein Vater zum Einzelrichter im Amt Keula ernannt wurde, das hoch über dem Eichsfeld liegt. Wir wohnten dort in einem altersgrauen burgartigen Gebäude mit riesigen Steinkaminen und hohen Thürschwellen, über die ich mit Vergnügen Turnkünste übte. Zu Johanni durfte ich mit den gutgearteten Bauernkindern unter der Dorflinde im Reigen springen, bei welchen fröhlichen Gelegenheiten ich den Dialect des Ortes mit Virtuosität sprechen lernte. Wie heimelte es mich nach Jahren an, als ich bei der Lectüre unserer mittelalterlichen Literatur im „Spiel von den zehn Jungfrauen“, das im 14. Jahrhundert in Eisenach aufgeführt worden ist, die „Brut“ und den „Brüt’gm“ statt Braut und Bräutigam wieder fand.
Eine Versetzung meines Vaters führte uns aus dem winkeligen Gebäu in das ehemalige fürstliche Jagdschloß von Ebeleben, das jetzt die Amtswohnung enthält. Dort habe ich während der Sommerzeit im altfranzösischen Garten Verstecken gespielt zwischen steif geschnittenen Hecken, in verfallenen Grotten und hinter steinernen Hirschen, Hunden und bezopften Jägern. Im Winter aber lernte ich das Gruseln; denn an einem bestimmten Decembertage sollte es in einem Saale, der einen dunklen Flecken am Fußboden trug, nicht geheuer sein, und männiglich war es bekannt, daß dort einer fürwitzigen Scheuerfrau der Strohwisch von unsichtbarer Hand eine Glockenstunde lang festgehalten worden war.
Ein günstiges Geschick fügte es, daß, als die Schulzeit für mich anbrach, mein Vater wieder nach Sondershausen zurückversetzt wurde, wo sich gute Lehranstalten befinden. Ich zeichnete mich zuerst durch Zerstreutheit, mangelhafte Rechenkünste und Tintenklekse aus; aber mit der Zeit arbeitete sich ein Talent für deutsche Aufsätze und den Vortrag schwungvoller Gedichte durch.
Zur Bereicherung meiner Phantasie trugen die öfteren Besuche bei meinem Großvater mütterlicherseits viel bei. Er war nach Eisenach als Vicepräsident an das dortige Appellationsgericht versetzt worden in der Zeit, zu welcher der Professor von Ritgen die Wartburg ausbaute, Moritz von Schwind sie mit seinen herrlichen Fresken schmückte. Noch heute webt ein poetischer Zauber um die Erinnerung an die Mondscheinabende, an denen wir in der Burg weilten. Die geistvolle Schwester meiner Mutter, die auch einen Roman veröffentlicht hat, aber früh verstorben ist, erzählte dann alle die Sagen und Historien, deren Schauplatz die alte Veste war, und in den Rundbogenfenstern des Landgrafenhauses, wo dereinst im Wettgesang zur kleinen Harfe Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen und Klingsor stritten, saßen junge Künstler, ließen die thüringer Cither schwirren und sangen schwermüthige Volkslieder.
In diese schöne bunte Welt brachte meine Mutter den festen Halt. Schon in jener Zeit, in welcher die Frauenfrage noch nicht eine brennende geworden war, sprach sie den Grundsatz aus, daß auch ein Mädchen einen bestimmten Beruf haben müsse, um das Leben würdig auszufüllen. Mit dem Augenblicke, da ich confirmirt wurde, wußte ich, daß ich mir einen Wirkungskreis zu schaffen habe. Nur war mir noch unklar, welches Ziel ich mir erwählen sollte.
[829] Das Kunstleben in meiner Vaterstadt zog mich zuerst zum Theater hin. Ich vermochte äußere Eigenthümlichkeiten der Menschen schnell zu erfassen und wiederzugeben; es wurde mir leicht, mich in eine fremde Seele hinein zu versetzen und in ihrem Sinne zu denken. Bei Liebhabertheatervorstellungen und Polterabendaufführungen gefiel mein Spiel. Ich wollte Schauspielerin werden und studirte einstweilen die Beatrix in „Viel Lärm um Nichts“ und, wenn ich in ernster Stimmung war, die Thekla im „Wallenstein“.
Aber wieder erklang in die bunten Träume, die diesmal von der glänzenden Bretterwelt erfüllt waren, die Weisung: du hast noch nicht die Hälfte deiner Lehrjahre hinter dir. Wenn es sich darum handelte, zu arbeiten, hat immer ein guter Stern über meinem Haupte gestrahlt. Das bewährte sich auch diesmal. Ein genialer Musiker, der ein Vorkämpfer der Wagner’schen Richtung in unserer Stadt war, ertheilte mir Unterricht, hauptsächlich in Theorie und Geschichte der Musik; zwei gelehrte Professoren, von denen der eine längst Director eines Gymnasiums in Preußen ist, der andere als Botaniker europäische Berühmtheit genoß, ließen sich herbei, mir die geistigen Schätze zu erschließen, welche die verschiedenen Völker bei ihrem Gang durch die Jahrtausende aufgespeichert haben. Vor Allem zog mich das Studium der reichen Flora meiner von herrlichen Buchenwäldern umrauschten Heimath an. Damals wünschte ich, wenn ich die braune Orchideen-Wurzel, die man Glückshand nennt, um die Johanniszeit grub, auf dem Gebiete der Wissenschaft ein Ziel zu erreichen. Doch bald fesselte mich mehr als die Erforschung der Pflanze das, was die Phantasie der Völker um dieselbe gesponnen hat. Es ließ mich gleichgültig, daß Linné die Eiche in die einundzwanzigste Classe seines Systems, Jussieu sie in die Familie der Näpfchenfrüchtler wies; aber ich freute mich daran, daß das deutsche Volk dem Baume die Treue länger als ein Jahrtausend gehalten hat: wie es ihn einst seinem stets mit dem Hammer dreinschlagenden Donar weihte, so schmückt es noch heutzutage den Orden für Muth im Felde mit Eichenlaub. –
Zu derselben Zeit wurde ich in die Welt und die Gesellschaft eingeführt. Ich durchwanderte mit meinem geschriebenen Heft pedantisch die Glyptotheken, Museen und Gemäldegallerien unserer großen Städte; es wurde mir aber erst wirklich wohl, wenn mir beim Anblick der Sixtinischen Madonna oder in Worms vor dem Luther-Denkmal Stift und Notizbuch aus den Händen sanken. In der Schweiz spähte ich zwar nach seltenen Pflanzen aus; aber als am Urner See die Worte „Schächen“, „Rütli“ an mein Ohr schlugen, vergaß ich die Alpenrosen; es war mir, als trügen mich weder Boot, noch Bergpferd, sondern die mächtigen Schwingen des deutschen Dichters, dessen Verse das Tell-Denkmal schmücken. Zu dem Wirbel der Nebelgestalten, die den Brocken umschwebten, mußte ich leise die wilden Reime aus Goethe’s Walpurgisnacht sprechen, und unter dem Thorbogen von Rolandseck, den das Gesumme der Klosterglocken von Nonnenwörth durchzog, klangen die wehmüthigen Liebesklagen Toggenburg’s in mir wieder.
Aber nicht nur die Freuden und Leiden längst vergangener Menschen interessirten mich, sondern ebenso sehr die mit mir im rosigen Licht athmende Generation, und ich verfehlte keine Gelegenheit, die unser heimisches Gesellschaftsleben bot, um mich mit diesem recht vertraut zu machen.
Es glitt sich ja auch so leicht auf dem glatten Parquet des Ballsaales in einem en avant deux dahin, und es war ein so großer Genuß, unsere berühmten Loh-Concerte zu besuchen, wo ein Nachtigallenchor die Vorträge unserer vorzüglichen Capelle ablöst, und wo ein buntes Bild sich entfaltet, in welchem weder die eleganten Herren und fächelnden Damen fehlen, die den Walkürenritt besprechen, noch der alte pensionirte Dorfschullehrer, der den weiten Weg macht, um andachtsvoll einer Mozart’schen Symphonie zu lauschen. – Und was das Beste war: vielen bedeutenden und liebenswürdigen Menschen gegenüber glaubte ich Doctor Faust’s Zauberkäppchen zu tragen; sie erschlossen mir ihre innersten Herzensthüren.
Mit sieghafter Gewißheit ging mir die Ueberzeugung auf, daß der Mensch das interessanteste Gebilde der Natur ist. Ich ließ die Pflanzen-Biographien, die ich ausarbeitete und auch glücklich durch einen vielgenannten wohlwollenden Schriftsteller in einer Zeitschrift unterbrachte, bei Seite und begann die Novellen- und Märchenstoffe, die mich umschwirrten, mittelst des alten Zaubersaftes Tinte auf das Papier zu bannen.
In dieser Zeit traf mich ein schwerer Schicksalsschlag. Mein heiß geliebter Vater wurde mitten aus rüstigem Wirken heraus – er war zuletzt Director des Kreisgerichts in Sondershausen – uns durch den Tod entrissen.
Nun sind schon zehn Jahre vergangen, seit ich ihm seinen Lieblingsbaum, eine Linde, auf das Grab pflanzte. Die kleinen bunt gefiederten Waldsänger aus unseren Buchenhallen, die er gern um sich hegte, flattern durch ihre grünen Zweige. – Andere schmerzliche Verluste folgten. Mein gütiger Großvater schloß für immer die Augen; theure Lehrer, liebe Freunde und Freundinnen mähte der Tod dahin. – Da war es die Arbeit, die mir über die schweren Zeiten hinweghalf, die mich davor bewahrte, in dem Schmerz zu versinken, die mich dem Leben zurückgewann.
Ich nahm die Feder wieder auf und schrieb rüstig weiter.
Aber auch ich habe die Erfahrung gemacht, daß es leichter ist, Erzählungen zu schreiben, als zu veröffentlichen. Ich mußte [830] noch viel lernen, bis meine Arbeiten den Redactionen annehmbar erschienen. Doch wieder fand ich wohlwollende kluge Rathgeber und hatte endlich die Freude, daß die „Gartenlaube“ meinen „Krieg um die Haube“, dem „Glockenstimmen“ und „Fanfaro“ seitdem gefolgt sind, aufnahm. Auch die Kindergeschichten wurden in Lohmeyer’s „Deutscher Jugend“ und andern Jugendschriften abgedruckt; jetzt werden sie zu Weihnachten, mit hübschen bunten Bildern versehen, den Kindern vorgelegt.
So war denn ein Ziel erreicht.
Aber wo blieb die schrankenlose Freude, die ich mir beim Beginn meines Strebens vom erreichten Ziel versprochen hatte? Wie Viele von Denen fehlten, mit denen ich sie hatte theilen wollen! Ein kleiner Kreis nur noch ist es, der am Weihnachtsabend die Fichte umsteht, an der ich die Wachslichter anzünde. Still, in wehmüthigem Gedenken sehen wir sie niederbrennen. Aber aus dem dunklen Wipfel tönt die ernste Mahnung: „Fordere nicht mehr als ein Erdenloos. Seit zwei Jahrtausenden stehe ich an dem hohen Fest des Jahres bei deinem Volk, und ich sah allezeit Freud und Leid gemischt euch zugewogen. Glück schon war es, mit edlen Menschen in Gemeinschaft verbunden gewesen zu sein, die reine Erinnerung an sie mit durch das Leben nehmen zu dürfen.“
Und vor mir liegt ein reiches Tagewerk fröhlicher Arbeit, die Aussicht auf ein Dasein, das ich nach meiner Eigenart mir ausgestalten darf. Nicht die am wenigsten genußreichen Stunden sind es, die ich in meinem Heim verlebe. Es ist durchwebt mit vielen alterthümlichen Gegenständen; denn solche sind meine zeitgemäße Liebhaberei. Dann sitze ich in meinem Rococostübchen voll krummbeiniger, mit vergoldeten Muscheln und Schleifen verzierter Möbel und freue mich an den „Kaffeeschälchen“ von altem Meißner Porcellan und dem noch ältern Schränkchen mit Kugelfüßen und zierlich in Holz eingelegten Blumen und Früchten, das meine Münzsammlung enthält.
Und auch diese stumme Umgebung vertraut mir Manches an. In der Dämmerstunde wird Alles lebendig. Im Winkel der eiserne Harnisch eines Stadtsöldners, der aus dem Freihaus stammt, das meine Vorfahren besaßen, auf dem Bücherbord das alte Kräuterbuch, welches ein Zeitgenosse Luther’s schrieb, auf dem Riedinger’schen Kupferstich der Reiter mit dem dreieckigen Hütchen und endlich der Guckkasten meines Urgroßvaters, in dem gepuderte Damen in der Menuet knixen, schwere Staatscarossen mit Straußfederbüschen dahinhumpeln und alle möglichen Soldaten, die der alte Fritz commandirte, aufmarschiren oder dreinhauen, je nach der Waffengattung, der sie angehören.
Dann ist’s mir, als hörte ich raunen: „Eile dich; zünde die Lampe an, daß du niederschreibst, was wir dir erzählt haben; denn du bist noch lange nicht an deinem Ziel.“
Und sie haben Recht.
Auch noch in einem andern Sinne, als solch ein Dämchen mit Reifrock und Schminkpflästerchen sich träumen läßt. Denn wie man beim Hinaufklimmen erst die ganze Höhe des Berges ermißt, so sah auch ich ein, daß, was ich für das Ziel hielt, nur eine Stufe zu demselben war.
Ich erkannte, daß die poetische Arbeit nicht alleiniger Zweck sein darf, sondern daß das letzte Ziel jedes menschlichen Lebens darin besteht, die ewige Wahrheit im Wechsel der Erscheinungen zu suchen. Das thut der Componist, wenn er alle Dissonanzen in Harmonien auflöst, der Schriftsteller, wenn er die Conflicte stellt, wie das Leben sie bietet, und die Lösung sucht nach höchstem sittlichen Gesetz.
Horch! die alte Uhr hebt aus, die seit einem Jahrhundert in meiner Familie frohe und traurige Stunden geschlagen hat. Sie brummt erst ein Weilchen, wie alte Leute gern thun, dann kündet sie mit heller Stimme die Arbeitsstunde an.
Wohlauf denn! damit einst meine freundlichen Leser und Leserinnen mit gutem Gewissen sagen können: „Sie hat ihr Ziel erreicht.“ Stefanie Keyser.